Umstrittener Richter Brett Kavanaugh wird im Kreis seiner Familie im US-Verfassungsgericht vereidigt. Foto: Collection of the Supreme Court

US-Präsident Donald Trump und seine Republikaner boxen ihren Richter fürs Verfassungsgericht durch. Doch der politische Kampf darüber fängt erst an, meint unser Kommentator Michael Weißenborn.

Stuttgart/Washington - US-Präsident Donald Trump hat sich durchgesetzt. Und wie! Nach wochenlangen erbitterten Grabenkämpfen, die ganz Amerika in ihren Bann zogen, wie politische Auseinandersetzungen selten, drückten seine Republikaner im US-Senat den erzkonservativen Richter Brett Kavanaugh als neuen, neunten Richter beim US-Verfassungsgericht durch. Damit rückt der Supreme Court ein weiteres Stück nach rechts. Mit der knappsten Mehrheit seit 137 Jahren, streng entlang des abgrundtiefen Parteigrabens: Mit einer einzigen Ausnahme stimmten alle Demokraten gegen Kavanaugh, dem mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vor mehr als 30 Jahren vorwerfen.

Weder die Anhörungen im Senat noch die – äußerst limitierte – Untersuchung der US-Bundespolizei FBI brachten wesentliche neue Erkenntnisse zu den schweren Anschuldigungen ans Tageslicht. Einmal mehr trat so die politische Spaltung und das tiefe Misstrauen, zutage, die Amerika zerreißen. Demokraten folgen den glaubhaften Vorwürfen der Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, während Republikaner für den in ihren Augen unbescholtenen Richter Partei ergreifen. Das gilt für die altehrwürdigen Hallen des Senats genauso wie für Amerikas Küchentische.

Machtprobe und Kulturkampf

Kavanaughs Auftritt im Kongress half nicht. Im Gegenteil. Seine Ausflüchte und sein Zornesausbruch gegen demokratische Senatoren nährten Zweifel an seinem überparteilichem Urteilsvermögen und Temperament. So sehr, dass er sich gezwungen sah, sich öffentlich zu entschuldigen („Ich sagte ein paar Dinge, die ich besser nicht gesagt hätte“) und für die Zukunft versprach, „unabhängig“ und „unparteiisch“ zu sein.

Doch vielleicht haben der Richter und sein Präsident diese politische und kulturkämpferische Machtprobe absichtlich gesucht. Kurz vor den entscheidenden Kongresswahlen ist der Kampf um den Richterposten ein ausgezeichnete Mittel, um die eigenen Anhänger aufzupeitschen und an die Wahlurnen zu treiben. Lange schien es so, als ob die „Enthusiasmus-Lücke“, nur aufgebrachte Anhänger der Demokraten, darunter vor allem Frauen, mobilisiert. Womöglich haben das Richter und Präsident mit ihrer Antwort auf die „#MeToo“-Bewegung nun geändert.

Gegenbewegung: „Jahr des Mannes“

Mit der Bestätigung Kavanaughs , dem zweiten konservativen Richter im Verfassungsgericht, dem sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wird, gehen Trump und seine Republikaner ein kalkuliertes Risiko ein: Zwar stoßen sie laut Umfragen Frauen vor den Kopf. Immerhin die Hälfte des US-Wahlvolks! Dafür appellieren sie an den zunehmend auch in seiner Geschlechterrolle verunsicherten weißen Mann. So wurde der 53-jährige neue Richter im US-Verfassungsgericht zum Vorzeigemann im Kampf gegen die angeblichen Exzesse von MeToo, die Väter, Brüder und Söhne allzuleicht in die Nähe falscher Beschuldigungen rücken. Laura Ingraham vom rechten TV-Sender Fox News jubiliert bereits: Die Gegenbewegung könnte sich zum „Jahr des Mannes“ („#YearoftheMan“) auswachsen.

Doch dem US-Verfassungsgericht droht schlimmeres Ungemach: Amerikaner haben weit mehr Vertrauen in ihr Verfassungsgericht als in den Kongress oder das Weiße Haus. Die Legitimität der Verfassungshüter beruht darauf, dass sie als unvoreingenommene Schiedsrichter wahrgenommen werden. Denn alle großen Streitfragen, von der Abtreibung bis zu den Quoten für Minderheiten landen bei ihnen. Mit der Überparteilichkeit könnte jetzt Schluss sein. Keine guten Aussichten in diesen polarisierten Zeiten, in denen der Präsident gegen die Institutionen des Rechtsstaats anrennt.

michael.weissenborn@stuttgarter-nachrichten.de