Der US-Songwriter Chuck Ragan begeistert im Mozartsaal – und dieser Saal wird für Nicht-Klassisches viel zu wenig genutzt. Foto: Oliver Willikonsky/Lichtgut

Jetzt wird’s kontrovers: Der US-Songwriter Chuck Ragan ist im Mozartsaal aufgetreten. Das Konzert selbst war über jeden Zweifel erhaben. Aber es hat bewiesen: In Stuttgart wurde bislang völlig falsch und an der Popwelt vorbei geplant. Und das könnte so weiter gehen, wenn man aus Konzerten wie dem von Ragan nicht lernt.

Stuttgart - Wie schön, endlich mal wieder einen Auftritt im Mozartsaal erleben zu dürfen. Der Saal ist wirklich hervorragend für gepflegte Popkonzerte geeignet; er klingt gut, er liegt zentral in der Innenstadt, er ist bestuhlt und er bietet von allen Plätzen aus beste Sicht. Warum dort nicht mehr Popkonzerte stattfinden, sondern nur die seltene Ausnahme sind, bleibt ein Rätsel.

Buchen könne man ihn im Gegensatz zum meist über Jahre im Voraus verplanten Beethovensaal vergleichsweise leicht, erzählt vor dem Saal vor Beginn des Auftritts von Chuck Ragan am Donnerstagabend Mirjam Aichele, die Geschäftsführerin des Veranstalters Musiccircus. Die relativ kleine und vor allem fünfeckige Bühne sei eher das Hindernis, sie eigne sich längst nicht für jede Band. Und dann gebe es da schließlich noch das, was sie „Clash of Cultures“ nennt – das in der Liederhalle, dem Tempel der Hochkultur, nach wie vor fremdelnde Popkonzertpublikum.

Wer darf in die Liederhalle?

Nach wie vor? Das stimmt einerseits nicht, wenn man sich auch bei diesem Konzert mal wieder den Altersdurchschnitt betrachtet, der mittlerweile ambitionierte Popkonzerte kennzeichnet - zu Chuck Ragankommt, Ausnahmen bestätigen die Regel, im Schnitt ein Ü-45-Publikum, das durchaus wirkt, als würde es regelmäßig gerne ins Theater und durchaus auch einmal in Klassikkonzerte gehen, sprich: dem ein gepflegtes Ambiente nicht fremd ist, sondern sogar sehr behagt.

Es stimmt andererseits aber auch deshalb nicht, weil die Gartenzaunziehung zwischen angeblicher E- und U-Kultur mittlerweile erstens eh weitestgehend obsolet ist (siehe die erwähnten sich angleichenden Altersdurchschnitte), zweitens ganz im Gegenteil die klassischen Konzertpublika mittlerweile vergreisend aussterben und es natürlich schon dreimal kein exklusives Nutzungsrecht der Liederhalle für die vermeintlich auserlesene Kultur gibt.

Stuttgarter Lücken

Die Konsequenz ist von zwingender Logik: beim dringend notwendigen Bau eines neuen Konzerthauses für Stuttgart müssen die Interessen der Veranstalter von Klassikkonzerten hintan stehen. In erster Linie muss dieses Konzerthaus nach dem Bedarf für feine Popkonzerte geplant werden. Es muss die offenkundigen – unter anderem durch die von falschen politischen Mehrheiten erzwungenen Schließungen von Röhre und Messecongresscentrum entstandenen - Lücken in den Stuttgarter Saalgrößen füllen und einen kleineren bestuhlbaren Saal für 500 bis 800 sowie eine große Halle für etwa 2500 bis 3000 Zuschauer bieten. Denn wo sonst, sagt die Geschäftsführerin des Musiccircus vor dem Mozartsaal stehend zu Recht, „sollen denn solche Konzerte wie dieses hier stattfinden?“

Dieses Konzert also findet in einem randvollen Mozartsaal statt. Der Kalifornier Chuck Ragan kommt in ihm mit nur zwei Akustikgitarren, zwei Mundharmonikas und zwei Büchsen Guinness aus, begleitet von einem wie Ragan hervorragend musizierenden Pedal-Steel-Spieler, seinem alten Kumpel Todd Beene. Eine jovial-herzliche Freundschaft umflort die beiden. In ausnehmend mitfühlender Leutseligkeit präsentiert sich der Hot-Water-Music-Vorsteher auch dem Publikum. Und vor allem funktioniert dieses minimalistische Bandsetting hervorragend.

Bierruhige Herren

In einem einnehmenden Dunstkreis aus Country-, Alternative-, Americana-, Folkrock- und Songwritermusik changiert der Sound, und selbst wenn der Duktus stets vergleichsweise ähnlich bleibt, schälen sich doch ständig aufs Neue bemerkenswerte Facetten heraus. Mit zunehmendem Verlauf der neunzig Minuten fängt nicht nur Ragan sein Publikum immer mehr ein, auch seine Musik tut dies.

Immer begeisternder umschmeichelt sie die Ohren, immer eindringlicher schleicht sie sich in die Gehörgänge, immer sonorer klingt plötzlich auch Ragans eigentlich sehr raues Organ, immer süffiger tönt diese sehr aus der amerikanischen Tradition gespeiste, von zwei bierruhigen Herren energisch vorgetragene Kammermusik im Verlauf dieses Auftritts. Ein ohne Abstriche begeisternder Abend voller hervorragender Qualitätsmusik steht da am Ende, der vom Publikum mit donnernden, stehenden Ovationen gefeiert wird. Wie schön, so etwas miterleben zu dürfen.