Mit einem Knall ist in Ulm ein Prozess wegen Kindesmissbrauchs zu Ende gegangen. Foto: dpa

Es war in Donzdorf: Ein Mann missbrauchte mindestens 49 Mal seine Stieftochter. Er bekommt sieben Jahre Haft und wird noch im Gerichtssaal verhaftet.

Ulm/Donzdorf - Mit einer Verhaftung wegen Fluchtgefahr noch im Gerichtssaal ist am Freitag ein Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes am Ulmer Landgericht zu Ende gegangen. Minuten zuvor hatte die Ulmer Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Wolfgang Tresenreiter ihr Urteil gegen einen 44-jährigen Angeklagten gesprochen: sieben Jahre Gefängnis wegen sexuellen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 49 Fällen.

Der Tatort ist nach der Überzeugung des Gerichts von Herbst 2008 bis Frühjahr 2011 ein Wohnhaus in Donzdorf gewesen. Dort hat der Angeklagte laut dem Urteil über drei Jahre hinweg seine Stieftochter missbraucht. Die im Haus lebende Mutter bekam offenbar nichts mit. Das missbrauchte Kind war elf Jahre alt, als alles begann. Erst viel später offenbarte sich die junge Frau einer Freundin – da war der Angeklagte längst aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen.

Das Fehlen objektiver Spuren war zunächst ein Problem

Ein Fall, in dem die Taten weit in der Vergangenheit liegen, das Fehlen objektiver Tatspuren und jedweder direkter Zeugen: Das waren die Startbedingungen in diesem Prozess. Bis zuletzt bestritt der 44-Jährige alle Vorwürfe, sprach von einem Komplott seiner Ex-Frau und freien Erfindungen der Stieftochter. Die Verteidigung hatte noch im Plädoyer einen Freispruch gefordert, die Anklage eine Haft von acht Jahren. Hohe Bedeutung kam einem Glaubwürdigkeitsgutachten der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiaterin Marianne Clauß zu. Sie äußerte am Freitag keine Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Vorwürfe. Die Aussagen der Stieftochter hätten „aus gedächtnispsychologischer Sicht eine hohe Qualität“. Clauß sieht keine Anhaltspunkte für eine außengeleitete Steuerung des Kindes im Prozess und der Zeit davor. „Es gibt keine Hinweise auf eine bedrängende Befragung durch die Mutter“, so die Gutachterin. Die „Suggestionshypothese“ sei durch nichts nicht zu belegen.

Auch die „Fantasiehypothese“, motiviert durch Rache- oder Enttäuschungsgefühle, verwarf die Gutachterin. Vielmehr zeige sich in allen Aussagen der Zeugin – schriftlich festgehalten in einem sechzigseitigen Polizeiprotokoll und einem fast hundertseitigen psychiatrischen Protokoll – eine auffallende Konstanz, was das „Kerngeschehen“ des Missbrauchs anbelange. Darunter versteht Clauß alle Angaben über „Körperposition, Handlung und Örtlichkeit“ in Bezug auf die angegebenen Taten. Zwar gebe es Widersprüche und Unrichtigkeiten in den Erzählungen der Frau, doch sie beträfen stets das „Randgeschehen“ der Taten. Die Zeugin sei „keine, die sich in den Mittelpunkt stellt“. Clauß weiter: „Es ist fast unmöglich, eine komplizierte Aussage über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten, wenn sie nicht erlebnisbegründet ist.“ Die Zeugin habe auch keine Hilfsmittel – etwa die Prozessakte – zur Verfügung gehabt. Das Fazit der Gutachterin zu den Vorwürfen: „Ich habe keine andere Erklärung dafür, als dass sie das erlebt hat.“

Der Angeklagte spricht bis zuletzt von einem Komplott

Der Richter Tresenreiter folgte den Argumenten der Gutachterin und fand in seiner Urteilsbegründung scharfe Worte für den 44-Jährigen. „Leider haben Sie nicht den Schritt gehen können zu sagen: Ich habe einen Fehler gemacht.“ Allerdings sieht auch die Justiz in dem Fall nicht durchweg gut aus. Wegen Personalmangels hat die Staatsanwaltschaft die Anklage um mehr als ein Jahr liegen gelassen. Der 44-Jährige bekommt deshalb sechs Monate Abschlag auf seine Strafe – sieben Jahre statt siebeneinhalb.