Schalthebel in Alarmstellung? Nicht alle Fahrer haben ihren Wagen im Griff. Foto: Daimler

Ein Autofahrer verliert die Kontrolle, richtet mit Vollgas immensen Schaden an. Wieder ist ein Pkw mit Automatikgetriebe im Spiel – und wieder stellt sich die Frage: technischer Defekt oder überforderter Fahrer? Der Mann ist 85.

Stuttgart/Esslingen - Die Bußgeldbehörde des Landratsamts Esslingen wird nun erst einmal Geld in die Hand nehmen müssen. Etwa 7000 Euro dürfte der Gutachter kosten, der dem spektakulären Unfall auf den Grund gehen soll. Ein 85-Jähriger hatte vor einer Woche in Wernau die Kontrolle über seinen nagelneuen BMW X 1 verloren.

Der Wagen, gerade mal zwei Tage alt, rammte einen geparkten Suzuki, fuhr über den Gehweg und eine Wiese, schanzte in den Hof eines Hotels, schob dort einen geparkten Peugeot gegen die Hauswand, driftete über die Hofeinfahrt, prallte schließlich gegen die Rückwand einer offen stehenden Garage. Bilanz der 75 Meter langen Irrfahrt: Der Mann wurde leicht verletzt, es entstand 65 000 Euro Schaden.

Wie das passieren konnte, ist unklar. Der Fahrer, so protokolliert die Polizei, „macht technische Mängel an seinem Fahrzeug geltend“. Immerhin dürfte er sich auskennen. Seit 1975, heißt es, fährt der Betroffene durchgehend Autos mit Automatikgetriebe. Tatsächlich ein technischer Mangel? Dabei war das Auto gerade mal zwei Tage alt.

Die Frage, ob der Fahrer schuld war oder sein Auto einen Defekt hatte, ist für die Polizei nicht so entscheidend: „Es gab keinen Fremdpersonenschaden, niemand anderes wurde verletzt, das läuft also unter der Kategorie Kleinstunfall“, sagt Polizeisprecher Sven Heinz. Die Frage, ob ein Gutachten notwendig ist, müsse die zuständige Bußgeldbehörde treffen. 7000 Euro – nur weil ein Unfallverursacher behauptet, sein Wagen habe einen technischen Mangel? Und das, wo der Bußgeldrahmen selbst bei grober Fahrlässigkeit nur bis 2000 Euro reicht?

Ob sich das lohnt oder nicht – „danach kann eine Verwaltung nicht handeln“, sagt Christian Baron, Leiter des Rechtsamts beim Landratsamt Esslingen. Er verweist auf das Ordnungswidrigkeitengesetz: „Die Verfolgungsbehörde hat im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten“, heißt es da.

Die Bußgeldbehörde des Landkreises sei zur Ermittlung verpflichtet. Deshalb müsse die Frage eines möglichen technischen Defekts geklärt werden – eine Einzelfallentscheidung, die angesichts des „sehr hohen Sachschadens“ zu treffen sei. Der Preis des Gutachters kann als Teil der Ermittlungskosten letztlich auf den Betroffenen zurückschlagen.

Freilich: Bei ähnlich spektakulären Unfällen in diesem Jahr waren Defekte bisher nicht nachzuweisen. Auch nicht bei dem tödlichen Unfall am 27. Januar in Backnang im Rems-Murr-Kreis. Ein 79-jähriger Fahrer eines BMW X 1 mit Automatikgetriebe war bei der Ausfahrt aus einem Parkhaus mit Vollgas in den Fluss gestürzt. Seine gleichaltrige Ehefrau kam ums Leben, der Mann wurde schwer verletzt.

„Ein Gutachten war nicht erforderlich“, sagt der für Waiblingen zuständige Polizeisprecher Holger Bienert. Nicht nur weil die Zeugenaussagen eindeutig waren. „Der Fahrer hat später selbst ausgesagt, dass er in einer Stresssituation gewesen sei“, sagt Bienert. An der Parkhausschranke hatte er versehentlich erst die Rückwärtsfahrstufe eingelegt – und danach hektisch nach vorne Vollgas gegeben.

Auch beim spektakulären Unfall am 6. Februar in Filderstadt-Plattenhardt hat es, wie sich nun herausstellt, keinen technischen Defekt gegeben. Eine 73 Jahre alte Toyota-Fahrerin hatte bei der Ausfahrt aus einer Waschanlage Vollgas gegeben und einen 22-jährigen Fußgänger schwer verletzt.

Die Frau hatte technische Mängel geltend gemacht, worauf die Staatsanwaltschaft, wegen des Schwerverletzten ermittelnd, ein Gutachten in Auftrag gab. „Die Untersuchung liegt vor“, sagt Polizeisprecher Heinz. Der Sachverständige fand keinen Mangel. Der Frau droht ein Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Unfälle mit Automatikautos häufen sich: Zwischen 9. Januar und 5. Mai gab es auch in Ostfildern (Kreis Esslingen), Kornwestheim, Schorndorf, Weil im Schönbuch (Kreis Böblingen), Esslingen und Löchgau (Kreis Ludwigsburg) Karambolagen. Bilanz: Vier Schwer-, vier Leichtverletzte, 182 000 Euro Schaden. Die meisten Fahrer sind über 70, der Älteste 89. Mit einer Ausnahme: Der Fahrer, der im April bei einer Probefahrt am Brückenpfeiler landete, ist 21.