Die Erfindung eines türkischen Chemieprofessors schont nicht nur Natur, Umwelt und die Pfoten der Haustiere, sondern ist auch effektiver als herkömmliches Granulat. Und sie ist ein zusätzliches Geschäft für den Nellinger Gastronomen Jean-Remy Butterlin.
Eigentlich ist Streusalz kein Thema mehr. Der Bedarf war in diesem Winter überschaubar, weitere Frosttage sind kaum zu erwarten. Trotzdem wuchtet Jean-Remy Butterlin gerade einem Kunden, der offenbar dem Frühlingsfrieden noch nicht traut, ein Dutzend 25-Kilo-Säcke ins Auto. Sie enthalten jedoch nicht das herkömmliche Streusalz, sondern die grüne Alternative: ein Schnee- und Enteisungsgranulat, das die Umwelt schont, die Pfoten von Hund und Katz’ nicht verletzt, Straßen- und Bodenbeläge nicht schädigt und Metall nicht korrodieren lässt. Und das Eis effektiver und länger schmelzen lässt, versichert Butterlin.
Das Granulat, schimmernd wie Kristalle, ist wirklich grün. „Mit Lebensmittelfarbe eingefärbt“, erläutert der 55-Jährige die vertrauensfördernde Kolorierung. Doch der Mann ist weder Erfinder noch Chemiker, sondern Koch und Gastronom. Er betreibt ein Lokal in Nellingen samt Kochschule und Cateringservice. Und zu all den Aktivitäten ist er jetzt auch noch Inhaber der Firma Melt-Meister (von to melt, auf Deutsch: schmelzen), die er für den Vertrieb des Granulats gegründet hat. Denn das Rezept dafür stammt nicht aus seiner Küche, sondern aus dem Labor von Yücel Kaymak, Chemieprofessor an der Universität im türkischen Samsun.
In der Türkei können die Winter streng sein. „Bis zu 40 Grad Minus im Osten“, sagt Can Akkaya, ein Freund von Butterlin, der dolmetschend die Kommunikation mit dem Erfinder unterstützt. „Bei diesen Temperaturen versagt das herkömmliche Streusalz, es gab zu viele Unfälle“, erklärt Kaymak am Telefon. Die Autobahnmeisterei habe ihn wegen einer effektiveren Alternative gefragt. Etwa zehn Jahre lang habe er getüftelt und entwickelt, bis das Ergebnis befriedigte.
Der Unterschied liegt nicht allein in der Farbe
Die grüne Farbe allein macht aber nicht den Unterschied: „Hauptbestandteile unseres Streugut-Granulats ist der Stoff Calciummagnesiumacetat (CMA), der im Gegensatz zum herkömmlichen Streusalz aus NACl keine schädigende Wirkung auf die Pflanzenwelt hat“, heißt es in einem Prospekt. Und: „Die beim Zerfall von CMA übrig bleibenden Stoffe Calcium und Magnesium sind keine Gefahr für das Grundwasser und haben sogar eine düngende Wirkung auf Pflanzen.“ Es lasse das Eis bis zu 40 Grad minus und bis zu 72 Stunden lang schmelzen. Die genaue Rezeptur ist geheim, das Verfahren patentiert und das Produkt vom Tüv zertifiziert.
„Ich habe Kaymak vor 20 Jahren bei einem Kochwettbewerb auf der Messe von Istanbul kennengelernt“, erzählt Butterlin. „Seither sind wir befreundet, wenn er in Deutschland ist, kommt er zu mir zum Essen.“ Als die Coronapandemie auch die Gastronomie lahmlegte, sei von ihm ein Anruf gekommen: Ob Butterlin finanzielle Probleme habe. Und dass er ihm ein Geschäft anbieten wolle: den Vertrieb seines innovativen Produktes. Mit dem hoffnungsvollen Argument: „Du kennst doch so viele Leute.“
Ein Test vor der eigenen Haustür überzeugt Butterlin
Eine Win-win-Situation für beide. Der Test in der eigenen Wohnstraße hat Butterlin überzeugt: Die eine Straßenseite, mit konventionellem Streusalz behandelt, musste nach einigen Stunden nachgebessert werden, die andere Seite war dank alternativen Streuguts 72 Stunden lang eisfrei. Er lasse das Produkt auch an der Uni Hohenheim überprüfen, „denn ich will mit gutem Gewissen dahinterstehen können und das Umweltsiegel dafür bekommen“, sagt Butterlin. Noch wird es in der Türkei hergestellt, aber er arbeite daran, die Produktion nach Deutschland zu verlegen, „vielleicht auf die Alb“, denn die langen Transportwege verursachen hohe Kosten. Apropos Kosten: „Ja“, räumt er ein, „das grüne Granulat ist doppelt so teuer wie Streusalz: 600 Euro pro Tonne. Es ist aber auch dreimal ergiebiger.“
Der Professor, dessen Erfindung schon bei Schneechaos den Betrieb auf dem Istanbuler Flughafen gerettet habe und bereits in Skandinavien, Kanada und den USA auf Interesse stoße, hat sich in Bezug auf seinen Partner nicht getäuscht: „Der Vertrieb in Deutschland läuft sehr gut“, sagt er zufrieden. Unter den Abnehmern, bestätigt Butterlin, seien große Firmen, die für Eisfreiheit ihrer Betriebsgelände und Parkplätze sorgen. Oder Geschäftsleute wie Axel Angermaier, der damit den Zugang zu seinem Trachtengeschäft in München problemlos sichern konnte, als dort vereiste Gehwege eine heftige Streusalz-Diskussion auslösten.
Wird man in Butterlins Restaurant, einer Wunderkammer voller Kuriositäten und Antiquitäten, schon nicht mit dem Gucken fertig, erstaunen erst recht die vielen Facetten des Patrons aus dem elsässischen Münster. Er ging in die harte Schule von Paul Bocuse, kochte in Sterneküchen in Paris und im Zeichen des Sterns in der Daimler-City in Möhringen, wo er auch Gorbatschow begegnete. Immer ist er auf dem Sprung – etwa zum Cannstatter Wasen, wo er auf dem Frühlingsfest vertreten ist. Im Sommer denkt er an ein Fest vieler Länder auf der Landschaftstreppe in Scharnhausen. Und in Vereinen engagiert er sich obendrein. Zum Beispiel im Verein Kinderkrebs-Nachsorge. Dem sollen von jeder verkauften Tonne Granulat zehn Euro zugutekommen.
Umweltschädlich: Streusalz
Für Bürger verboten
Herkömmliches Streusalz aus Natriumchlorid, Kalziumchlorid oder Harnstoff ist umweltschädlich. Es kann Boden und Grundwasser belasten, schädigt Pflanzen, verletzt Tiere und setzt dem Straßenbelag zu.
Split bevorzugt
Die Verwendung ist daher in vielen Gemeinden für Privatpersonen verboten. Zum Beispiel in Ostfildern. Streusalz wird hier nur für Fahrbahnen verwendet, um bei Schnee- und Eisglätte den Verkehr aufrecht zu halten. Auf Rad- und Gehwegen, Haltestellen und öffentlichen Plätzen sorgt Split für den sicheren Tritt. An dieses Vorbild müssen sich auch die Bürger und Kehrwöchner halten.