Das Ludwigsburger Amtsgericht verurteilt einen jungen Mann, der einem Prügelopfer geholfen und dabei selbst jemanden verletzt hat. Dabei hatte sogar die Staatsanwaltschaft einen Freispruch gefordert.
Ludwigsburg - Er hat Zivilcourage gezeigt, einem Menschen in einer Notsituation geholfen – und wird bestraft. Das Amtsgericht hat am Donnerstag einen 22-jährigen Ludwigsburger zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil dieser im Juni 2015 in der Ludwigsburger Innenstadt einen Menschen verletzt hat. Dass er dabei quasi in Notwehr handelte, ließ die Richterin unbeeindruckt, obwohl sogar die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer einen Freispruch gefordert hatte. Die Verteidigerin kündigte sofort nach der Verhandlung an, in Berufung zu gehen.
Denn die Beweisaufnahme hat zweifelsfrei ergeben, dass der Angeklagte damals versucht hat, einem hilflosen Mann beizustehen, als dieser spätnachts von einer Gruppe stark alkoholisierter Jugendlicher attackiert wurde. Der Remsecker war vor der Gaststätte Kanone niedergeschlagen und dabei schwer verletzt worden. Während er auf dem Boden lag, wurde er umringt und offenbar weiter getreten – woraufhin der Angeklagte einschritt, die Angreifer wegschubste und das Opfer aus der Gefahrenzone brachte. Bei dieser Aktion habe auch er um sich geschlagen und eventuell jemanden getroffen, erklärte er vor Gericht. „Aber das war nie meine Absicht. Ich wollte helfen und hatte Angst, dass der auf dem Boden stirbt, wenn die alle weiter auf ihn eintreten.“
Zahlreiche Zeugen stützen die Aussagen des Angeklagten
Dieser Ablauf wurde von zahlreichen Zeugen bestätigt. Auch das Opfer, der Mann aus Remseck, schilderte vor Gericht ausführlich, wie ihm der Angeklagte zur Hilfe geeilt sei. Die Staatsanwältin und die Verteidigerin kamen daher in seltener Einmütigkeit zu dem Ergebnis: Der 22-Jährige habe in einer Nothilfe-Situation gehandelt. Dass er dabei unabsichtlich jemanden verletzte, sei nicht zu bestrafen.
Die Richterin kam zu einem anderen Schluss. Zwar ließ sie die ursprüngliche Anklage – gefährliche Körperverletzung – fallen, verurteilte den 22-Jährigen aber wegen fahrlässiger Körperverletzung zu drei Monaten und zwei Wochen Gefängnis auf Bewährung. Der Angeklagte ist somit vorbestraft, und es ist denkbar, dass er in einem Zivilprozess auf Schadensersatz verklagt wird. Das Urteil fußt darauf, dass er vor Jahren schon einmal wegen Körperverletzung mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Vor allem aber wurde ihm zum Verhängnis, dass einer der Jugendlichen, die er bei seiner Rettungstat zur Seite gestoßen hat, dabei einen Kiefernbruch erlitt. Ob und inwieweit dieser Verletzte zuvor an der Attacke gegen den am Boden liegenden Verletzten beteiligt war, blieb unklar. Er behauptet, der Angeklagte habe ihm grundlos eine Faust ins Gesicht geschlagen – diese Angaben wurden jedoch von keinem der neutralen Zeugen gestützt.
Auch die Richterin zweifelt nicht daran, dass der Angeklagte tatsächlich helfen wollte, geht aber davon aus, dass er dabei weit übers Ziel hinaus geschossen ist. In ihren Worten: „Das Ausmaß dieser Nothilfe war so nicht erforderlich.“ Dass ein Gericht eine Strafe verhängt, nachdem die Staatsanwaltschaft Freispruch gefordert hat, ist eine Seltenheit. Wie es überhaupt selten vorkommt, dass die Anklagebehörde sich derart weit von der Anklage distanziert – weil damit immer das Eingeständnis verbunden ist, dass bei den Ermittlungen Fehler gemacht wurden. Tatsächlich wirft die Vorgehensweise der Polizei auch in diesem Fall Fragen auf. Verwunderlich sei diese gewesen, sagte die Verteidigerin, und auch die Staatsanwältin bemerkte mehrfach, sie sei irritiert angesichts mancher Entscheidung.
Der Helfer saß mehrere Wochen in Untersuchungshaft
So wurde beispielsweise ein Mobiltelefon eines unmittelbar Beteiligten erst im Januar ausgewertet, weil die zuständige Polizei-Sachbearbeiterin krank war. Dabei befanden sich darauf Kurznachrichten, die belegen, dass der Angeklagte eher Helfer denn Schläger war. Dieser war, wegen vermeintlicher Fluchtgefahr, Mitte Dezember sogar in Untersuchungshaft genommen worden. Vor dem Haftrichter hatte er erneut betont, dass er damals nur eingeschritten sei, um Schlimmeres zu verhindern. „Auch er glaubte mir nicht.“