Auf dem Foto vom Umbau 2000/2001 ist zu erkennen, dass der untere Teil der Haupttribüne stehen und seitdem unverändert blieb. Foto: factum/Weise

Zigmal seit der Einweihung im Jahre 1933 wurde die Mercedes-Benz-Arena umgebaut – nun wird die Haupttribüne für knapp 70 Millionen Euro modernisiert. Streit droht wegen Umbauten für die Formel E.

Stuttgart - Das Geld sprudelt. Und doch wird es nicht reichen, allen zu helfen, denen in der Corona-Pandemie die Einnahmen weggebrochen sind. Auch der VfB Stuttgart muss trotz eines beantragten KfW-Kredits sparen. Anders allerdings als bei der Konkurrenz in Dortmund (Fanmeile), Mainz (Geschäftsstelle) oder Wolfsburg (Trainingsplätze), die ihre Bauvorhaben mangels Geld aufschieben mussten, soll die Mercedes-Benz-Arena wie geplant für die Europameisterschaften 2024 saniert werden. So der Gemeinderat zustimmt, wird die Stadt für den klammen VfB einspringen und den Eigenanteil des Vereins als Darlehen vorstrecken. Was man zum Umbau wissen muss.

Die Historie

1928 tauscht die Stadt ihre Flächen auf dem Burgholzhof gegen das 139 Hektar große Gelände auf dem Wasen, das bis dato dem Staat Württemberg gehört. Der Gemeinderat stellt 2,35 Millionen Reichsmark für den Bau eines Stadions bereit. Architekt Paul Bonatz plant es für 35 000 Zuschauer. Am 23. Juli 1933 wird es eingeweiht und Adolf-Hitler-Kampfbahn getauft. 1935 werden Wälle aufgeschüttet, die Kapazität auf 70 000 Zuschauer erhöht. 1963 wird die erste deutsche Flutlichtanlage eingeweiht. Für die WM 1974 wird für 24 Millionen Mark die Haupttribüne neu gebaut, die Gegengerade überdacht, eine Anzeigetafel errichtet. Zur Leichtathletik-WM 1993 wird die Arena umgetauft. Mercedes kauft das Namensrecht für 10 Millionen Mark; das Stadion heißt nun Gottlieb-Daimler-Stadion. Es wird überdacht, die Haupttribüne umgebaut. Sieben Jahre später wird für 51 Millionen die Haupttribüne durch einen zweiten Rang erweitert. Dort entsteht ein VIP-Bereich mit 44 Logen, 1500 Business-Seats. Für die WM 2006 folgt der Umbau der Gegengerade für 51,253 Millionen Euro. Von 2009 an wird die Laufbahn herausgerissen, das Stadion heißt nun Mercedes-Benz-Arena. Die Kosten betragen knapp 63 Millionen Euro.

Das Konstrukt

Eigentümer ist seit dem letzten Umbau nicht mehr die Stadt, sondern die Stadion Neckarpark GmbH. An dieser sind die Stadt Stuttgart mit 60 Prozent und der VfB mit 40 Prozent beteiligt. Der VfB zahlte in der Bundesliga bisher 5,6 Millionen Euro fixe Pacht an die Gesellschaft. Dazu kommt eine variable Pacht, die an die Zuschauerzahlen geknüpft ist; das waren in der Vergangenheit rund 1,2 Million Euro. Ist zudem der Umsatz deutlich höher als kalkuliert, kommt eine Million Euro obendrauf. Mit der Pacht wird der jährliche Erbbauzins fürs Grundstück an die Stadt in Höhe von 800 000 Euro bezahlt und der Kapitaldienst für das Stadiondarlehen, der 4,5 Millionen Euro im Jahr beträgt. Darüber hinaus übernimmt der VfB Betriebs- und Wartungskosten in Höhe von drei Millionen Euro je Jahr. Diese trug früher die Stadt.

Die EM 2024

In Deutschland werden 2024 die Fußball-Europameisterschaften ausgetragen. Teilnehmen werden 24 Mannschaften. 14 Städte hatten sich als Austragungsorte beworben, der Deutsche Fußballbund hat zehn Städte ausgewählt, darunter Stuttgart. Das heißt, hier werden vier bis sechs Spiele stattfinden. Wie viele Spiele das sind, und ob womöglich ein Halbfinale in Stuttgart stattfindet, hat auch mit der Qualität des Stadions zu tun, sagen VfB und Stadt unisono. Und da gab es im Prüfbericht einiges zu bemängeln.

Die Mängel

Der untere Teil der Haupttribüne wurde 1974 gebaut. So ist auch der Standard. Für die EM genügt vieles den Maßstäben nicht mehr. Die Umkleiden sind zu klein. Am augenfälligsten ist dies bei den Kabinen der Schiedsrichter. Früher pfiffen drei Schiedsrichter, heute kommt ein Sextett. Zudem sind Frauen dabei, sie brauchen eigene Umkleiden und Duschen. Aufwärmräume fehlen. Die Stufen auf der Tribüne sind zu schmal. Der Pressebereich ist zu klein, die Anzahl der Kioske zu gering. Zudem müssen die Spielerbusse unter der Tribüne parken können. Das funktioniert nicht mehr, weil die Busse höher geworden sind. Ferner muss das Flutlicht mit LED ausgestattet werden, es braucht eine neue Beschallungsanlage und Sicherheitstechnik an den Eingängen.

Der Umbau

Im Januar 2022 soll mit dem Abriss des unteren Teils der Haupttribüne begonnen werden. Der Neubau nach den Plänen von asp-Architekten aus Stuttgart beginnt im April. Im August 2023 soll der Neubau stehen. Im Erdgeschoss soll die Fläche von 3400 Quadratmetern auf 6250 Quadratmeter erhöht werden. Im ersten Stock erhöht sich die Fläche von 2200 Quadratmeter auf 3000 Quadratmeter. Küchen und Kioske sollen dort entstehen. Und ein Umlauf, der die Wege für Besucher und Beschäftigte trennt. Und 550 zusätzliche Businessplätze. Das sind jene roten Sessel, die bequem, aber auch teuer sind.

Die Finanzierung

Die Kosten betragen knapp 70 Millionen Euro und sind damit gegenüber dem ursprünglichen Voranschlag um 4,5 Millionen Euro gestiegen. Was vor allem an der Technik liegt. Die Stadt steuert 22,5 Millionen Euro bei, die Stadiongesellschaft bringt per Darlehen ebenfalls 22,5 Millionen Euro auf. Der Kredit soll über 30 Jahre getilgt werden. Dafür wird die Fixpacht des VfB um eine Million erhöht. Eigentlich sollte der VfB 24,75 Millionen Euro beisteuern. Durch das Spielen vor leeren Rängen fehlen vor allem die Zuschauereinnahmen, eine Million Euro pro Heimspiel, was dazu führt, dass der VfB einen KfW-Kredit von 15 Millionen Euro beantragt hat. Auch die Stadt soll dem VfB unter die Arme greifen. Der Plan ist, so der Gemeinderat zustimmt, dass die Stadt dem VfB ein Darlehen über die 24,5 Millionen Euro gibt. „Der VfB wird es von 2024 an über acht Jahre zurückzahlen“, sagt Martin Rau, Geschäftsführer der Stadiongesellschaft. Über Monate hinweg haben sie an den Plänen getüftelt. was nicht nur wegen Corona schwierig war. Rau macht keinen Hehl daraus: „Der Umbau war abhängig vom Aufstieg des VfB. Das war die Voraussetzung, dass wir es machen können.“

Der Nutzen

Ist letztlich simpel. „Wir wollen mehr Geld verdienen, als wir jetzt reinstecken“, sagt VfB-Finanzvorstand Stefan Heim. Dafür brauche man eine wettbewerbsfähige Spielstätte. 550 neue Business Seats bringen bei einer kalkulierten Auslastung von 40 Prozent 4,1 Millionen Euro mehr pro Saison. Auf dem neuen Unterrang können 8000 Menschen sitzen. Auf Plätzen, die besser sind als die bisherigen. Von den ersten fünf Reihen ist bisher der Blick aufs Feld nicht sonderlich gut. Man sieht die Reservebänke besser als das Geschehen auf dem Rasen. Zudem werde das Stadion durch die Umbauten attraktiver für andere Veranstaltungen, wie Konzerte und Messen. So diese irgendwann wieder stattfinden können. Es gibt aber auch eine Veranstaltung, die zum Zankapfel wird.

Formel E

An diesem Freitag wird der Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats über den Umbau reden. Dabei werden die Stadträte auch über Pläne der Verwaltung reden, die Formel E nach Stuttgart zu holen. Die Formel E ist quasi eine Formel 1 mit elektrisch betriebenen Rennwagen. Ein Rennen könnten sie rund um die und in der Mercedes-Benz-Arena austragen, so der Wunsch. Dafür müsste man zwei Durchfahrten in der Haupttribüne vorsehen. Das würde einige Hundert Sitzplätze und 5 Millionen Euro kosten.