Der Handelsriese Edeka will die Supermarktkette Edeka übernehmen. Doch nach dem Veto des Bundeskartellamts hat nun auch die Monopolkommission die Pläne abgelehnt Foto: dpa

Edeka will die Supermarktkette Tengelmann schlucken und hofft nach dem Veto des Kartellamts und der Monopolkommission auf Unterstützung aus Berlin. Experten befürchten, dass bei einer Übernahme Lieferanten unter Druck geraten und noch größere Rabatte eingefordert werden könnten.

Stuttgart/Berlin – Alle Hoffnungen ruhen auf Sigmar Gabriel (SPD). Nach dem Nein der Kartellwächter hoffen die Supermarktketten Edeka und Kaiser’s Tengelmann, dass der Bundeswirtschaftsminister den Weg für den geplanten Zusammenschluss frei macht. Tengelmann will seine rund 450 Filialen loswerden, weil die Kette rote Zahlen schreibt. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub hat kürzlich erklärt, dass das traditionsreiche Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren Verluste von mehr als 500 Millionen Euro angehäuft hat. Allein im vergangenen Jahr betrug das Minus fast 40 Millionen Euro. Dieses Jahr soll es sogar noch größer sein. „Wir sehen leider keine Perspektive mehr, unsere Supermärkte aus eigener Kraft zu einem profitablen Unternehmen zu machen“, sagte Haub bereits bei Bekanntwerden der Fusionspläne im Herbst 2014. Aus Baden-Württemberg hat sich Tengelmann bereits Ende 2010 komplett zurückgezogen. Als Grund nannte die Supermarktkette damals schlechte Umsätze und strategische Überlegungen.

Um die Übernahme noch zu retten, haben Edeka und Tengelmann Ende April in Berlin eine Ministererlaubnis beantragt. Gabriel kann die obersten Wettbewerbshüter überstimmen und eine Sondergenehmigung erteilen. Die Entscheidung, die frühestens Ende August fallen soll, wird mit Spannung erwartet. Am Montag hat auch die Monopolkommission in ihrem Gutachten für Gabriel den Daumen gesenkt: Sie befürchtet, dass sich der Wettbewerb durch die Fusion verschlechtern könnte. „Die Gemeinwohlvorteile wiegen die Wettbewerbsbeschränkungen nicht auf“, urteilte die Kommission. Eine Fusion „würde die starke Marktstellung von Edeka auf den regionalen Angebotsmärkten des deutschen Lebensmitteleinzelhandels ausbauen und absichern“. Auch eine Arbeitsplatzsicherung sei nicht hinreichend erwiesen.

Kartellamtspräsident Andreas Mundt befürchtet ebenfalls, dass sich der Wettbewerb durch eine Übernahme verschlechtern und es zu Preiserhöhungen kommen könnte – vor allem in Berlin, München, Oberbayern und Nordrhein-Westfalen, wo Tengelmann viele Läden hat. Deshalb hat er Anfang April die Fusion untersagt. Die Auswahl- und Ausweichmöglichkeiten der Verbraucher wären stark eingeschränkt, begründete er. Das Argument, dass Tengelmann bundesweit gerade mal auf einen Marktanteil von 0,6 Prozent kommt, lässt Mundt nicht gelten. Denn in einigen Städten ist er deutlich höher. „Der Verweis geht an der Sache vorbei“, sagt er. Es gehe um regionale Absatzmärkte etwa in Stadtbezirken oder Ortsteilen, und dort sei Tengelmann mit Marktanteilen von 10 bis 30 Prozent eine wichtige Alternative zu den Platzhirschen. „Niemand fährt zum Einkaufen quer durch Deutschland oder quer durch eine Großstadt.“

Die Lieferanten

Auch Lieferanten hätten Nachteile von einer Fusion, erklärt das Kartellamt. Schon heute kontrollieren die vier führenden deutschen Lebensmittelhändler Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi 85 Prozent des Marktes. Vielen Herstellern würde ein wichtiger, unabhängiger Abnehmer verloren gehen, sagt Kartellamtspräsident Mundt. „Tengelmann gehört bundesweit zwar zu den kleineren Lebensmittelhändlern“, erklärt Horst Margner, bei der Gewerkschaft Verdi zuständig für den Lebensmitteleinzelhandel. „Aber insbesondere in den Regionen Berlin und München ist Tengelmann aufgrund seiner Größe für Verbraucher und Lieferanten wichtig.“ Für Hersteller von elf Produkten – darunter Milch, Schokolade, Schaumwein, Tiefkühlpizza und Konfitüre – könnte eine Fusion problematisch werden, weil sich die Wettbewerbsbedingungen verschlechtern würden, kommt das Bundeskartellamt zum Schluss.

„Der Vorsprung von Edeka vor den anderen Händlern vergrößert sich weiter“, glaubt Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Edeka hat einen Marktanteil von 25 Prozent, die Rewe- und die Schwarz-Gruppe jeweils einen Anteil von 14,8 Prozent (Stand 2014). „Es steht zu befürchten, dass die Lieferanten sich damit den Bedingungen der Einkaufsgenossenschaft noch schlechter entziehen können“, sagt er. „Das könnte gerade für kleinere und mittlere Hersteller schwierig werden.“

Roeb hat eine Studie zum Verhalten von Edeka gegenüber den Lieferanten erstellt. Als der Einkaufsgenossenschaft das bekanntgeworden sei, habe Edeka einen Medienrechtler eingeschaltet und sich an seinen Arbeitgeber, die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, sowie den Verlag gewandt, der die Studie auszugsweise veröffentlichen wollte, erklärt Roeb. Wegen des Prozessrisikos zog er seine Studie bis auf weiteres zurück.

In der Branche wird befürchtet, dass der Handelsriese Edeka nach der Fusion erhebliche Zugeständnisse von den Lieferanten fordert: „Der geringere Wettbewerb führt zu höheren Rabattforderungen an die Lieferanten“, sagt Jürgen Basedow. Der Hamburger Professor für Wettbewerbsrecht war früher Vorsitzender der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät. Auch Handelsfachmann Roeb rechnet damit, dass Markenartikel-Herstellern Zugeständnisse bei den Preisen abgerungen werden. „Andere Händler würden dann vermutlich nachziehen, und es gäbe ein Rennen ohne Ende“, sagt er. „Der Verlierer steht fest: die Lieferanten.“ Wenn Edeka Tengelmann übernimmt, könnte dies den Konzentrationsprozess bei den Herstellern noch verstärken, fürchtet Roeb.

Die Hochzeitsrabatte

Hochzeitsrabatte nennt man derartige Preisnachlässe , die Händler nach Firmenfusionen bei Herstellern durchsetzen. Das Kartellamt hat Edeka vor zwei Jahren abgemahnt, weil die Einkaufsgenossenschaft nach der Hochzeit mit dem Discounter Plus im Jahr 2009 bessere Bedingungen erzielen wollte. „Die Entscheidung wird derzeit noch gerichtlich geprüft“, sagt ein Edeka-Sprecher. „Das Bundeskartellamt hat das Verfahren im Laufe der Ermittlungen auf einen Bruchteil seines ursprünglichen Umfangs reduziert. Es betrifft heute nur noch die Verhandlungen mit vier Lieferanten.“ Ein Urteil wird Mitte August erwartet.

Ob die Verbraucher von den geringeren Preisen bei den Lieferanten profitieren, ist fraglich. „Es hängt davon ab, wie viele Konkurrenten es neben Edeka in den jeweiligen Städten noch gibt“, sagt Experte Jürgen Basedow. „Je geringer der Wettbewerb, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Preise an die Verbraucher weitergegeben werden. Letztlich werden die Auswirkungen von Stadt zu Stadt variieren.“

Die Mitarbeiter und die Konsequenzen

Die Mitarbeiter

Unterdessen stellen sich die 16 000 Tengelmann-Mitarbeiter weitaus existenziellere Fragen: Was macht Edeka nach der Übernahme mit den Filialen? In einem offenen Brief haben sie Tengelmann-Chef Haub aufgefordert, Verhandlungen mit weiteren Wettbewerbern aufzunehmen. „Das Angebot von Edeka umfasst nicht alle Filialen, sondern nur eine Auswahl der besten Märkte, was eine Entlassungswelle absehbar macht“, heißt es darin. Seit Bekanntwerden der Pläne haben die Beschäftigten an mehren Standorten – unter anderem in Berlin, München und der Region Nordrhein – dagegen protestiert.

„Wir fordern von einem Käufer eine Beschäftigungssicherung, den Erhalt von Betriebsratsstrukturen, die Tarifbindung und den Verzicht auf eine Ausgliederung an selbstständige Kaufleute“, sagt Manfred Schick, Betriebsratsvorsitzender von Tengelmann in Bayern und Aufsichtsratsmitglied im Unternehmen. „Von Edeka haben wir dafür bisher keine verbindliche Garantie.“

Horst Margner, bei Verdi zuständig für den Lebensmitteleinzelhandel, befürchtet, dass Tengelmann nach der Übernahme zerschlagen wird. „Edeka selbst ist eine zergliederte Unternehmensgruppe“, sagt er. „80 Prozent der Filialen sind in der Hand von privaten Kaufleuten, nur 20 Prozent unter der Regie von Edeka.“ Edeka-Chef Markus Mosa habe klargemacht, dass an einer derartigen Privatisierung von Tengelmann kein Weg vorbeiführe. „Wenn das passiert, brechen Tarifbindung und Betriebsratsstrukturen weg.“ Die Frage sei, wie dann mit den vielen insbesondere älteren Beschäftigten umgegangen werde, die sehr lange für Tengelmann arbeiten.

An den Existenzsorgen ändere auch ein Brief von Mosa nichts, den er Anfang Juli an die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Janetta Jöckertitz geschickt habe, sagt Margner, im Gegenteil. In dem Brief sichert Mosa zu, dass die Gesamtzahl von 16 000 Arbeitsplätzen nach einer Übernahme durch Edeka erhalten bleiben solle. Er machte allerdings gleichzeitig deutlich, dies könne auch bedeuten, „dass in einigen Bereichen Beschäftigungsverhältnisse nicht fortgesetzt werden können“. Dafür werde es dann im Edeka-Verbund Neueinstellungen geben. Bei diesen Ankündigungen handle es sich um unverbindliche, geradezu wolkige Absichtserklärungen, kritisierte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Auch sie fordert deshalb eine Beschäftigungsgarantie und lehnt eine Vergabe von Filialen an private Kaufleute ab.

Die Konsequenzen

Doch was passiert, wenn Wirtschaftsminister Gabriel Nein zur Edeka-Übernahme sagt? Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub hat deutlich gemacht, dass bei einem Scheitern 8500 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. „Dann würde Kaiser’s Tengelmann abgewickelt, und die Filialen müssten verkauft werden“, sagt eine Sprecherin.

Nicht nur Edeka hat ein Auge auf die Tengelmann-Filialen geworfen. Neben dem Handelskonzern Rewe interessieren sich auch der Schweizer Handelskonzern Migros und die Kieler Konsumgenossenschaft Coop dafür. Rewe-Chef Alain Caparros hat angekündigt, er wolle alle Arbeitsplätze übernehmen und soll Berichten zufolge dafür 450 Millionen Euro geboten haben. Edeka selbst äußert sich nicht zum Kaufpreis.