Im Alter von 80 Jahren verstorben: Trainerlegende Udo Latteck Foto: dpa

Wenn er so leidenschaftlich über Fußball redete, war es immer auch ein Stück aus dem Leben. Seines ging jetzt zu Ende. Was soll’s, hätte Trainerlegende Udo Lattek wohl geknurrt, irgendwann ist eben Schluss.

Stuttgart - Es war immer ratsam, sich als Reporter gründlich zu überlegen, welche Frage man ihm stellte: Undurchdachte Angriffe pflegte der Fußball-Lehrer Udo Lattek mit blitzartigen Kontern zu beantworten. Und mit einem schiefen Lachen, das dem bloß gestellten Fragesteller unzweideutig signalisierte, dass er es mit einem Kaliber zu tun hatte, dem er nicht gewachsen war.

Es wäre vermutlich zu viel der Schmeichelei zu behaupten, dass Udo Lattek die Rolle, die er über drei Jahrzehnte im deutschen Fußball spielte, in aller Bescheidenheit ausfüllte. Virtuos bediente der Bank-Angestellte die Tasten des Klaviers, auf dem der Fußball die diversen Klänge seiner öffentlichen Wirkung entfaltet. Wie kein anderer Trainer vor ihm genehmigte er Einblicke in die Gedankenwelten seines Sports.

Großmaulig bisweilen und durchaus von sich eingenommen, der erste Promoter seiner selbst, aber immer in Demut vor dem Spiel, das ihn zu einem der Stars seiner Zunft machte. „Ich bin ein Bauernsohn, aus dem Nichts gekommen. Ich habe dem Fußball alles zu verdanken“, sagte der in Ostpreußen geborene Udo Lattek in einer Dankesrede zum 75. Geburtstag.

Dass er mit Borussia Mönchengladbach, in zwei Amtszeiten mit dem FC Bayern München und mit dem FC Barcelona Titel sammelte wie andere Autogramme, erklärten jene, die es nicht so gut mit ihm meinten, vor allem damit, dass er stets zu richtigen Zeit am richtigen Ort angeheuert hatte. Und sich mit Spielern schmückte, die mutmaßlich auch mit dem örtlichen Dorfschullehrer auf der Bank von Sieg zu Sieg geeilt wären.

In Gladbach überließ ihm sein Lehrmeister Hennes Weisweiler Könner wie Jupp Heynckes, Rainer Bonhof oder Berti Vogts. Beim FC Bayern München tanzten Feinmotoriker wie Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Karl-Heinz Rummenigge oder Lothar Matthäus nach seiner Pfeife. Da ist es kein Zufall, dass den vom Glück so begünstigten Erfolgscoach eine innige Abneigung mit Kollegen verband, die mit höheren Fehlpassquoten zu kämpfen hatten. Otto Rehhagel wäre da wohl als Erster zu nennen.

Glück hin oder her. Unbestritten ist bis heute, dass Udo Lattek eine Mixtur aus Bauernschlauheit, Empathie, Direktheit und Offenheit im Umgang mit seinen Spielern entwickelte, die ihn zum Prototypen eines Trainers machte, der mehr Mittel einzusetzen wusste, als Zuckerbrot und Peitsche. Im Jahr 2000 etwa, als er Borussia Dortmund vor dem Abstieg bewahrte. Weil er dabei vor allem den Emissären der Springer-Presse Einblicke gewährte, die in der Branche eigentlich tabu waren, war er zeitlebens gut im „Bild“-e.

Doch der erste Enter-T(r)ainer der Unterhaltungsbranche Fußball erkannte seine Grenzen, als er 1981 nach dem Tod seines erst 15-jährigen Sohnes im tiefsten Schmerz ein Angebot des FC Barcelona annahm. „Barcelona war schon damals der schwierigste Club“, erzählte er einmal, „ich war 24 Stunden am Tag gefordert. Das war die richtige Ablenkung.“ Immerhin holte er mit den Katalanen den Europapokal der Pokalsieger.

Als er jedoch den Bus zum Abschlusstraining abfahren ließ, ohne den verspäteten Diego Maradona an Bord zu nehmen, bedeutete die beleidigte Diva dem Barça-Präsidenten, dass er lieber Cesar Luis Menotti als Coach sehen würde. Eine der Geschichten, die Lattek beim Kölsch immer mal wieder zum Besten gab. Dass er es ab und an ein bisschen übertrieb mit den bunten Getränken, hat er nie geleugnet.

In Hans Albers, der Schauspieler-Legende, sah er seinen Bruder im Geiste. „Weil der, wie ich, saufen konnte und hart arbeiten“. Lattek zählte sich stolz zu jenen, die am Leben teilgenommen haben. Das tat er auch noch, als er sonntagmorgens den Talk im DSF-Doppelpass auf seine Art interpretierte. Zur Gaudi der Zuschauer schreckte er vor verbalen Fouls nicht zurück.

Wie erst jetzt bekannt wurde, starb der an Parkinson leidende Udo Lattek am Wochenende in einem Kölner Pflegeheim. Er wurde 80 Jahre alt. Auch das größte Spiel geht irgendwann zu Ende.