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Zum zweiten Mal beharken sich die fünf Spitzenkandidaten in einer Elefantenrunde.

Stuttgart - Endspurt, Finale, Schlussakkord: Die Begriffe für die heiße Phase des Landtagswahlkampfs wechseln. Gestern Abend trafen die Spitzenkandidaten der fünf großen Parteien zum zweiten Mal aufeinander. Die Bilanz: Es bleibt spannend.

Wenn sie nicht politische Gegner wären und beinhart um die Regierungsmacht in Baden-Württemberg kämpfen würden, könnte man fast meinen, sie seien private Freunde. Da stehen sie also, alle fünf Alphatiere von CDU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei: Stefan Mappus, Nils Schmid, Winfried Kretschmann, Ulrich Goll, Roland Hamm. Donnerstagabend, kurz vor 20 Uhr. Sie lächeln, man ist per Du, der Stefan mit dem Winfried, auch der Nils mit dem Stefan, und natürlich der Uli mit dem Stefan. Aber selbst größte Lockerheit kann die Anspannung nicht verbergen. Einer nach dem anderen muss in die Maske. Die Spuren des wochenlangen Landtagswahlkampfs werden weggeschminkt. Jetzt, kurz vor der mit Spannung erwarteten Elefantenrunde im SWR-Fernsehen, will sich niemand eine Schwäche anmerken lassen. Es ist die letzte große Chance, Wähler für sich zu gewinnen.

Historischer Regierungswechsel oder liegen Meinungsforscher daneben?

Vor allem CDU und FDP kämpfen gegen einen Umfragetrend, der ihnen wie eine Klette in den Kleidern hängt. Nach einer neuen Forsa-Erhebung vom Donnerstag liegt die amtierende Landesregierung von CDU (38 Prozent) und FDP (5 Prozent) scheinbar abgeschlagen hinter dem Bündnis von SPD und Grünen (jeweils 24 Prozent). Aber kommt es am Sonntag wirklich zum historischen Regierungswechsel, oder liegen die Meinungsforscher falsch? Vor dem Hintergrund stehen die fünf also im Studio 1, wo vor einer Woche bereits das TV-Duell zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem SPD-Herausforderer stattfand. Damals waren die beiden Kontrahenten mit den Moderatoren Christine Emmerich und Michael Zeiß alleine. Nun ist das Publikum nicht nur daheim an den TV-Schirmen, sondern auch im Studio dabei. 200 Gäste sind geladen, darunter viele Jungwähler, die von der Landeszentrale für politische Bildung ausgewählt wurden.

Wie so oft in diesen Tagen dreht sich die Diskussion erst einmal um den plötzlichen Ausstieg aus der Atomenergie. Ministerpräsident Mappus verteidigt diese Kehrtwende. Nach Japan könne man "nicht weitermachen wie bisher", aber trotz aller Sicherheitsdiskussion brauche man auch "Versorgungssicherheit und machbare Preise". Er sei nicht bereit, "dass die einen für den Ausstieg aus der Atomkraft sind und wir dafür sorgen müssen, dass der Strom aus der Steckdose kommt", sagt Mappus an die Adresse von SPD und Grünen. Auch FDP-Vormann Goll verteidigt den Schwenk: "Nach der Katastrophe von Japan war uns doch allen klar, dass wir unsere Konzepte ändern müssen."

"Die Blockade des Landes in der Windkraftbranche aufheben"

Aber wie ist dann die Aussage von Bundeswirtschaftsminister Brüderle zu verstehen, der das dreimonatige Moratorium einen Trick vor der Landtagswahl genannt haben soll? Goll glaubt nicht, dass sein Parteifreund das gesagt hat, SPD-Spitzenkandidat Schmid aber grätscht in die ohnehin wunde Koalitionsseele: "Brüderle spricht das aus, was Mappus denkt." Kretschmann sieht es auch so und verspricht, als grüner Ministerpräsident werde er "die Blockade des Landes in der Windkraftbranche aufheben". Im Übrigen sei er überzeugt, dass es ohne Stromimport und Preiserhöhung möglich wird, "bis 2017 komplett aus der Atomenergie auszusteigen".

Es ist einer jener Momente, in denen sich die Zuschauer im Publikum - jede Partei darf eine Gruppe stellen - bemerkbar machen. Die einen jubeln, andere buhen. Auch beim Thema EnBW. Mappus und Goll verteidigen den Kauf, der Ministerpräsident erinnert an die 20000 Arbeitsplätze, die es beim Energiekonzern zu halten gilt. Schmid wirft der Regierung vor, sie habe "einen Atomkonzern gekauft, um damit Geld zu verdienen", nun aber gebe es kein Konzept, um auch ohne Kernkraft den milliardenschweren Kaufpreis zu refinanzieren. Und die Linken? Hamm will die EnBW "zum Motor für erneuerbare Energien umbauen", "spätestens 2015" sei der Ausstieg aus der Atomenergie realisierbar.

"Will nicht für alle das Gleiche, sondern für jeden das Richtige"

Aber es gibt noch andere wichtige Themen in diesem Wahlkampf. Beispiel Bildung, Beispiel Fachkräfte. Eine Mutter im Publikum wirbt dafür, noch mehr Geld in die Ausbildung von Erziehern zu investieren, und es gelte, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Hamm wirft der Landesregierung vor, den Mangel an Fachkräften verschlafen zu haben. Schmid will die überbetriebliche Ausbildung stärken und das Ganztagsangebot in Kindergärten und Schulen ausbauen. Mappus erinnert, dass das Land in den vergangenen Jahren die Zahl der Plätze in Kindertagesstätten verzehnfacht habe und es einen weiteren Ausbau geben werde. Aber ist es nötig, dass Kinder nach der vierten Schulklasse in unterschiedliche Schularten verteilt werden? Goll verteidigt das gegliederte Schulsystem, "weil es eine individuelle Förderung der Kinder möglich macht". Auch Mappus warnt vor der Einheitsschule: "Ich will nicht für alle das Gleiche, sondern für jeden das Richtige." Schmid hingegen will das längere gemeinsame Lernen bis Klasse 10 und den Schulen "die Spielräume lassen, das selbst zu gestalten". Auch Kretschmann wirbt für eine Gemeinschaftsschule: "Das blockieren wir nicht, sondern lassen gute Ideen zu. Die Schule muss sich nach den Kindern richten, nicht umgekehrt."

So streiten sie 90 Minuten, natürlich auch über das Projekt Stuttgart 21. Kretschmann prophezeit Mehrkosten von 500 Millionen Euro, nennt mögliche Schadenersatzkosten von einer Milliarde Euro im Fall eines Baustopps "umstrittene Fantasiezahlen" und glaubt nicht, dass sich die Bürger bei einem Volksentscheid für das Projekt aussprechen würden. Schmid freilich wirbt für das Großprojekt, will aber dennoch einen solchen Volksentscheid. Hamm sagt "ein klares Nein" zu dem umstrittenen Bahnprojekt. Mappus und Goll wiederum lassen keine Zweifel, dass sie das Zukunftsprojekt verwirklichen wollen. Und sie appellieren an die Projektgegner, den Schlichterspruch von Heiner Geißler endlich zu akzeptieren.

"Wir sind mit allen gesprächsfähig"

Kein Zweifel: Auch bei diesem Thema bleiben die Fronten verhärtet. Nur an einer Stelle herrscht nach dieser Elefantenrunde mehr Klarheit. SPD und Grüne schließen eine Regierung mit der Linkspartei oder eine Tolerierung durch sie nicht aus. "Wir sind mit allen gesprächsfähig", sagen Schmid und Kretschmann fast wortgleich, auch mit den Linken. Mappus greift die Steilvorlage auf. Der Sonntag sei eben eine Richtungswahl - entweder gewinnt Schwarz-Gelb oder Rot-Grün-Rot.