Fabian Hambüchen beim Sprung Foto: dpa

Die Deutsche Turn-Meisterschaft lieferte wieder einmal den Beweis. Nach den Top-Athleten Fabian Hambüchen und Marcel Nguyen kommt lange nichts. Es fehlt qualifizierter Nachwuchs. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) will das Defizit beheben.

Stuttgart - Mit dem Titel im Mehrkampf sowie drei Gold- und zwei Silbermedaillen in den Gerätefinals bewies Fabian Hambüchen bei den nationalen Titelkämpfen in der Scharrena seine Extraklasse. „Ich bin absolut zufrieden“, sagte der Superstar von der TSG Niedergirmes. Und das konnte er auch sein. Schließlich schaffte er zwei Rekorde: samstags holte er seinen achten DM-Titel im Mehrkampf, so oft hat bisher kein anderer Turner den Geräte-Mix aus Pferd, Ringe, Sprung, Boden, Barren und Reck gewonnen. Und sonntags strich er – nach Gold am Boden und beim Sprung – mit dem Sieg an seinem Lieblingsgerät, dem Reck, dann seinen 35. DM-Titel ein. Damit ist er deutscher Rekordmeister. An den Ringen und dem Barren musste er sich Marcel Nguyen vom MTV Stuttgart geschlagen geben, am Pauschenpferd reichte es nur zu Rang sechs.

Ans Aufhören denkt Hambüchen trotz seiner Erfolge und der intensiven Doppelbelastung mit Studium und Spitzensport nicht – noch nicht. „Eine olympische Medaille fehlt mir noch, außerdem liebe ich das turnen. Das ist Motivation genug, um weiterzumachen“, sagte der Reck-Weltmeister von 2007. Sein Ziel ist klar: Bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 will er seine beeindruckende Karriere mit Gold krönen.

Treten Hambüchen (26) und Nguyen (26) eines Tages aber kürzer oder zurück, droht der Nationalmannschaft ein Problem. Zwar gibt es in Andreas Toba (Hannover/23), Lukas Dauser (Unterhaching/21), Philipp Herder (Berlin/22) und dem derzeit an der Schulter verletzten Sebastian Krimmer (Stuttgart/23) mehrere Athleten mit internationaler Klasse, aber sie gehören (noch) nicht zur Weltspitze. Und den Turnern dahinter fehlt es an Potenzial oder Konstanz.

Selbst der zuletzt noch so starke Chemnitzer Andreas Bretschneider (25) leistete sich im Mehrkampf einen Patzer nach dem anderen, er schaffte es in kein einziges Gerätefinale. Rainer Brechtken hat das Dilemma erkannt: „Ich habe bei einigen Athleten ein erhebliches Stabilitätsproblem gesehen“, bemängelte der DTB-Präsident. Zudem habe das Wochenende verdeutlicht, dass eine dritte Riege fehle, die Druck auf die Etablierten ausübe: „Da kommt sehr wenig an Leistungen im Weltniveau-Bereich.“

Für die Zeit nach den Olympischen Spielen 2016 schwant Brechtken Übles – eine Durststrecke. Deshalb will er von September an mit einigen Landesverbänden Gespräche führen. „Es kann nicht sein, dass wir nach wie vor Regionen haben, die sich bisher nicht im Spitzensport engagieren“, sagte der DTB-Chef aus Schorndorf, „da haben wir großen Nachholbedarf.“

Vor allem aus dem Norden, weiten Teilen Nordrhein-Westfalens und Rheinland-Pfalz komme bisher zu wenig. Offenbar fehlt es dort bereits an der Basis an qualifizierten Trainern. Brechtken: „Das Problem fängt in den Turn-Abteilungen der Vereine an.“

Baden-Württemberg, Sachsen, Berlin und Brandenburg schließt Brechtken von seiner Kritik aus. Allerdings kündigte er an, auch die Arbeit in den sechs Bundesstützpunkten in Berlin, Chemnitz, Cottbus, Halle/Saale, Hannover und Stuttgart zu überprüfen.

Geht es nach den Leistungen bei der DM, muss das Stuttgarter Kunstturnforum (KTF) nicht viel befürchten. Die Athleten, die dort an ihren Übungen feilen, erzielten beim Heimspiel in der Scharrena gute Ergebnisse: Nach durchschnittlicher Leistung und Platz fünf im Mehrkampf präsentierte sich auch Nguyen in den Einzelentscheidungen am Sonntag stark verbessert. „Das war ein versöhnlicher Abschluss, nachdem mir samstags noch etwas die Stabilität gefehlt hat“, sagte er mit Blick auf seine zwei Goldmedaillen: „Ich weiß aber, dass ich noch einiges zu tun habe.“ Vom 3. bis 12. Oktober findet die WM in Nanning/China statt.

In drei Tagen bestimmt Bundestrainer Andreas Hirsch sechs WM-Teilnehmer und einen Reservisten. Hambüchen, Nguyen, Toba, Dauser und Herder haben das Ticket so gut wie sicher. Die im KTF trainierenden Daniel Weinert (Kieler MTV) und Helge Liebrich (TV Wetzgau) hoffen noch auf eine Nominierung. Weinert empfahl sich mit Gold am Pauschenpferd, Liebrich holte Silber im Sprung. Anton Wirt (MTV Stuttgart) sicherte sich zwar Silber am Boden und Bronze am Barren, ist aber kein WM-Kandidat.