Erdogan bemüht sich um Annäherung an Syrien. Foto: Getty

Die Türkei sucht wieder die Nähe zu Syrien. Gründe dafür sind Terrorangst und kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen.

Ankara - In der Rekordzeit von wenigen Wochen hat die Türkei ihre Aussöhnung mit Israel besiegelt und die Beziehungen zu Russland auf den Weg der Normalisierung gebracht. Jetzt wendet sich die Regierung in Ankara der nächsten außenpolitischen Großbaustelle zu: „Ich bin sicher, dass wir zu normalen Beziehungen mit Syrien zurückkehren werden “, erklärte Ministerpräsident Binali Yildirim diese Woche.

Für eine Annäherung sprechen gemeinsame Interessen in der Region, vor allem der Kampf gegen kurdische Autonomiebestrebungen. Im September 2011 brach die Türkei alle Beziehungen zum Nachbarland Syrien ab, nachdem der syrische Staatschef Baschar al-Assad die eindringlichen Mahnungen des damaligen türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan zu Reformen in den Wind geschlagen hatte.

Geheimdienst unterstützt Dschihadisten

Um den Sturz von Assad herbeizuführen, unterstützte die Türkei von da an syrische Oppositionsgruppen. Aber die in Ankara gehegte Erwartung, Assad werde binnen weniger Monate abgesetzt, hat sich nicht erfüllt. Überdies erwies sich die Unterstützung der Assad-Feinde als zweischneidiges Schwert.

So unterschätzte man in Ankara lange die Gefahr, die von der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) auch für die Türkei ausging. Das Land geriet immer tiefer in den Treibsand des Syrienkrieges. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe führte im November 2015 zum Bruch mit Moskau – mit katastrophalen Folgen für die türkische Wirtschaft und den Tourismus. Nachdem die Beziehungen zu Russland in den vergangenen Wochen weitgehend repariert wurden, will Premierminister Yildirim jetzt „den Kreis unserer Freunde erweitern und die Zahl unserer Feinde verringern“.

Annäherung an Syrien

Hinter den Kulissen laufen bereits die Bemühungen um eine Annäherung an Syrien. Daran sind die Geheimdienste beider Länder beteiligt. Auch Algerien betätige sich als Vermittler, berichten Kenner der Vorgänge. Überdies traten kürzlich zwei Politiker einer kleinen türkischen Oppositionspartei, Dogu Perincek und Ismail Hakki Pekin, im Magazin „Foreign Policy“ mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, sie hätten bereits seit Februar 2015 bei mehreren Treffen in Damaskus mit Assad persönlich und ranghohen Offiziellen des Regimes Möglichkeiten einer Wiederannäherung sondiert und anschließend dem türkischen Außenministerium berichtet.

Auch wenn man in türkischen Regierungskreisen erklärt, es gebe „keinen Politikwechsel“, und das Ziel bleibe eine Ablösung Assads, ist ein Umdenken offensichtlich: „Stabilität in Syrien“ sei entscheidend für den Kampf gegen den Terror, erklärte Yildirim. Nicht nur die wachsende Bedrohung durch den Terror des IS, der in der Türkei seit Juni 2015 über 200 Menschen tötete, ist Anlass für den Kurswechsel. Für eine Wiederannäherung an Syrien sprechen aus Sicht der türkischen Regierung auch gemeinsame Interessen im Kampf gegen kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen.

Kurdische Autonomiezone

Die Kurdenpartei PYD, der syrische Ableger der als Terrororganisation verbotenen PKK, macht im Grenzgebiet zur Türkei Fortschritte beim Aufbau einer Autonomiezone. Diese Pläne für eine kurdische Selbstverwaltung versucht Assad ebenso zu durchkreuzen wie die Türkei, die mit Blick auf ihre eigene kurdische Minderheit und den wieder aufgeflammten Krieg mit der PKK keine Autonomie-Experimente an ihrer Grenze dulden will. Abdülkadir Selvi, Kolumnist der Zeitung „Hürriyet“ mit guten Kontakten zur Regierung, beschreibt die neue Interessenlage so: „Wichtiger als das Schicksal Assads ist für die Türkei jetzt die territoriale Integrität Syriens“. Und wie die ohne Assad gewahrt werden kann, ist derzeit schwer vorstellbar.