Bald gleichberechtigt mit anderen Verkehrsteilnehmern: Radfahrer in der Tübinger Straße, die zum Shared Space werden soll Foto: Kraufmann

Die Tübinger Straße soll 2012 zum "Shared Space" werden. Rechtlich gibt es aber eine Lücke.  

Stuttgart - 2012 soll die Tübinger Straße zu einer Mischverkehrsfläche werden. Dann sollen Fußgänger, Radler und Autofahrer gleichberechtigt die Straße nutzen. Shared Space heißt dieses Experiment. Ein landesweites Pilotprojekt im Kreis Calw ist aber ins Stocken geraten - und rechtlich gibt es eine Lücke.

Anfang Februar rollen rund um die Tübinger Straße die Bagger an. Dann beginnt der Umbau der sogenannten Querspange zwischen Kronprinzstraße und Tagblatt-Turm. Doch das ist nur der Anfang. Danach soll die Tübinger Straße von dort bis zur Paulinenbrücke zum Shared Space werden, auf dem der Verkehr verlangsamt wird und Fußgänger mehr Platz haben. Bisher stehen 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Das reicht in einem ersten Schritt bis zur Sophienstraße.

Vergleichswerte gibt es bisher wenig

"Wir werden 2012 beginnen, im Anschluss an die Querspange", sagt Stephan Oehler vom Stadtplanungsamt. Vorgesehen ist eine Tempo-20-Zone mit Parkverbot. Dafür sollen 37 Parkplätze wegfallen. Sieben neue Bäume sollen gepflanzt werden. Als Straßenbelag ist ein heller Gussasphalt vorgesehen. Der Bereich soll so deutlich attraktiver werden. Der Gemeinderat muss bis Frühjahr über das Konzept entscheiden.

Vergleichswerte gibt es bisher wenig. Lediglich kleine Orte in den Niederlanden und in Niedersachsen haben das Konzept auf EU-Initiative hin ausprobiert. "Wir betreten schon ein Stück weit Neuland", sagt Oehler. Die ersten Erfahrungen der Testkommunen seien in die Planung eingeflossen. So müsse man sich beispielsweise gute Regelungen für Sehbehinderte überlegen.

Ein echter Shared Space rechtlich nicht möglich

In Baden-Württemberg wurde 2009 beschlossen, ein Pilotprojekt in Hochdorf im Kreis Calw einzurichten. Das allerdings ist ins Stocken geraten. "Die Gemeinde dort hat das Vorhaben zurückgestellt", sagt Gerhard Schmidt-Hornig, Sprecher des Verkehrsministeriums. Grund dafür sind wohl finanzielle Probleme. Der Umbau müsste von der Kommune bezahlt werden, weil es sich um eine städtebauliche Aufwertung handelt. Das Land wäre nur begleitend im Boot. Die Entscheidung für Hochdorf hatte damals auch interessierte Gemeinden in der Region Stuttgart, etwa Rudersberg, ausgebremst.

Ein zumindest ähnliches Modell gibt es aber in der Region doch. Seit Oktober sind Teile der Fellbacher Innenstadt umgebaut. "Es handelt sich dabei nicht um einen Shared Space, sondern um einen verkehrsberuhigten Geschäftsbereich", sagt der stellvertretende Stadtsprecher Frank Knopp. Zwar stehen dort Verkehrsschilder, aber dennoch gibt es zahlreiche Parallelen.

Ein echter Shared Space rechtlich nicht möglich

Wie in Stuttgart angedacht, gilt auch dort Tempo 20, stellenweise ist die Trennung von Fahrbahnen und Gehwegen aufgehoben worden, alle Verkehrsteilnehmer sind gleichberechtigt. "Eine für Fellbach bislang völlig neue und einmalige Kombination aus Wohn- und Geschäftsquartier, Fußgängerbereich und Fahrmöglichkeit", sagte Baubürgermeisterin Beatrice Soltys über das Projekt. Bisher, so Sprecher Knopp, funktioniere das System: "Wir haben noch nichts Negatives gehört."

Wenn es nach dem Verkehrsministerium ginge, würde man auch in der Tübinger Straße von einem solchen verkehrsberuhigten Bereich sprechen. "Der Begriff Shared Space ist aus unserer Sicht überbewertet", sagt Schmidt-Hornig. Er sei durch das Projekt in den Niederlanden geprägt worden. Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr: Ein echter Shared Space ohne Straßenschilder und jegliche festgesetzte Regeln ist nach Auffassung des Landes rechtlich gar nicht möglich. "Dazu müsste man die Straßenverkehrsordnung anpassen", sagt Schmidt-Hornig.

Man stehe aber Versuchen wie in der Tübinger Straße aufgeschlossen gegenüber, heißt es beim Land. "In einer Erprobungsphase", so der Ministeriumssprecher, "reichen unserer Meinung nach ohnehin die Instrumente aus, die rechtlich möglich sind." Mit Tempo 20 und Schildern liegt die Stadt also auf einem realistischen Kurs - und kann sich am Fellbacher Modell orientieren. Einen echten Shared Space wird es nicht nur in Hochdorf so schnell nicht geben.