„Es gibt niemanden, der patriotischer ist als ich, euer Lieblingspräsident“, sagte Trump in seiner Rede. Foto: AFP

Donald Trump ändert seinen Kurs in der Coronapolitik: Das sagt viel über einen Mann, der angesichts miserabler Umfragewerte nervös zu werden scheint.

Washington D.C. - Eigentlich war der Vorhang bereits gefallen. Die Corona-Taskforce des Weißen Hauses, gebildet, um auf die Epidemie zu reagieren, gab es zwar noch, aber eben nicht mehr in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Donald Trump hielt es nicht mehr für ratsam, sich, flankiert von Virologen, im Briefing Room seiner Residenz vor die Reporter zu stellen, wie er es im April noch fast täglich getan hatte. Nun die Kehrtwende: Nach drei Monaten Pause trat er am Dienstag erneut an das wappengeschmückte Pult in dem bemerkenswert kleinen Saal, und wie er die Lage einschätzte, klang für seine Verhältnisse ungewohnt nüchtern.

„Wahrscheinlich wird es leider schlimmer, bevor es besser wird“, orakelte der Präsident. Er sage das nicht gern, aber so sei es nun mal. Irgendwann zog er sogar einen Mund-Nasen-Schutz aus der Tasche seines Jacketts. Nicht, um ihn sich vors Gesicht zu binden, wohl aber, um Landsleuten, die in Masken ein Zeichen von Schwäche sehen, ins Gewissen zu reden. „Ob Sie die Masken nun mögen oder nicht, sie haben eine Wirkung“, mahnte er, nachdem er lange Zeit das Gegenteil behauptet hatte. Bereits zuvor hatte er seine Anhänger in einem Tweet auf den Schwenk eingestimmt. „Viele Leute sagen, es ist patriotisch, eine Maske zu tragen, wenn ‚social distancing‘ nicht möglich ist. Es gibt niemanden, der patriotischer ist als ich, euer Lieblingspräsident.“

Trump zeigte sich verändert, vermied Streit mit Reportern

Es sagt viel über einen Mann, der angesichts miserabler Umfragewerte langsam nervös zu werden scheint, dass er die Taskforce-Briefings wieder aufleben lässt und, zumindest beim Neustart, eher leise Töne anschlägt. Trump las vom Teleprompter ab, statt improvisierend zu Tiraden anzusetzen, was er sonst häufig tut. Er vermied Streit mit Reportern, die er früher als totale Versager beschimpfte, die unerhört dreiste Fragen stellten und nicht zu würdigen wüssten, was seine Regierung leiste. Offenbar will er einen Eindruck verwischen, der sich zuletzt mit Macht aufgedrängt hatte. Während die Zahl der bestätigten Infektionen in Kalifornien, Texas oder Florida auf alarmierende Höchststände kletterte, wirkte er, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Als habe er das Kapitel Corona schon abgehakt.

Am Wochenende hatte er ein mediales Desaster erlebt. Da gab er dem ebenso unaufgeregt wie beharrlich nachfragenden Fernsehmann Chris Wallace, der beim ansonsten überaus Trump-freundlichen Sender Fox News für kritischen Journalismus steht, ein Interview, das er im Nachhinein bereut haben dürfte. Man saß im Garten des Weißen Hauses, bei 37 Grad im Schatten traten Trump Schweißperlen auf die Stirn. Als er sich über die Hitze beschwerte, konterte Wallace kühl, Trump habe doch selber darauf bestanden, das Gespräch statt in klimagekühlten Räumen im Freien zu führen.

Trump färbt die Lage zumindest für den Moment nicht mehr schön

Irgendwann prahlte der Präsident damit, er habe einen Test seiner kognitiven Fähigkeiten ausgezeichnet bestanden, worauf Wallace erwiderte, den Test kenne er, er sei ziemlich einfach. Zum Beispiel müsse man einen Elefanten als Elefanten identifizieren und sieben von 100 subtrahieren. Und als Trump behauptete, die USA hätten nur deshalb weltweit die meisten Ansteckungen zu verzeichnen, weil sie mit Abstand am intensivsten testeten, blamierte er sich ein weiteres Mal, weil ihm sein Gegenüber mit Fakten kam. Es lag wohl auch an dem Fiasko bei Fox News, dass Trump die Lage – zumindest für den Moment - nicht mehr schönfärbt.

Wie rasant es in den Popularitätskurven abwärts geht für ihn, das zeigen die Umfragen. Washington Post und ABC News sehen seinen Kontrahenten Joe Biden bei der Wahl mit 15 Prozentpunkten Vorsprung durchs Ziel gehen. Im Mai hatte der Amtsinhaber um zehn, im März nur um zwei Punkte hinter dem Herausforderer gelegen. In den Swing States, in denen es traditionell auf Messers Schneide steht, wie die Wahl ausgeht, fällt der Rückstand zwar geringer aus. Aber auch dort hätte Trump nach heutigem Stand das Nachsehen. In den Rust-Belt-Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, ehemaligen Hochburgen der Demokraten, in denen Trump den Wettlauf mit Hillary Clinton überraschend für sich entschied, würde er klar verlieren, würde heute gewählt – immer vorausgesetzt, dass sich die Demoskopen nicht irren.

Auch in Florida, North Carolina und selbst in Arizona, einem lange von den Konservativen beherrschten Staat, müsste er seinem Rivalen den Vortritt lassen, während es in Ohio und Georgia auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinausliefe. Der „Economist“ schätzt die Chancen, dass Trump im Weißen Haus abgelöst wird, auf 93 Prozent und hält sogar einen Erdrutschsieg Bidens für möglich.

Es handelt sich nur um einen Zwischenstand

Das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei alldem nur um einen – letztlich irrelevanten – Zwischenstand handelt. Meinungsumfragen im Juli können nicht mehr als Momentaufnahmen sein, Schnappschüsse, die am Tag des Votums keinen mehr interessieren. Auch Clinton lag im Sommer vor vier Jahren dem Politbarometer nach zu urteilen deutlich vor dem Immobilientycoon, nur um im Herbst zu verlieren. Duellieren sich Trump und Biden bei den obligatorischen Fernsehdebatten, könnte sich der Herausforderer Biden, der bekannt ist für bisweilen peinliche Versprecher, erneut blamable Ausrutscher leisten. Manche Wähler könnte es bestätigen in ihrer Skepsis gegenüber einem 77-Jährigen, der mitunter den Eindruck erweckt, als sei er tatsächlich zu alt für das Oval Office.

Zudem neigen Amerikaner eher nicht dazu, einen Präsidenten nach nur einer Amtszeit direkt durch einen anderen abzulösen. Der Letzte, der mit seiner Ausnahme die Regel bestätigte, war 1992 George Bush gewesen. Kein Wunder, dass gerade unter den Demokraten viele nicht an die Prognosen des Hochsommers glauben – zumal ihnen die Erfahrung von vor vier Jahren noch in den Knochen steckt. „Einige Leute sagen, schaut euch doch nur die Zahlen an. Nun, ich vertraue den Zahlen nicht“, sagt dazu Debbie Dingell, eine Kongressabgeordnete aus Michigan.

Dennoch, eines steht außer Zweifel: Eine klare Mehrheit der Wähler, Anhänger wie auch Gegner Trumps, sieht in dem Votum am 3. November ein Referendum über das Krisenmanagement des US-Präsidenten. Solange die Pandemie in den USA nicht eingedämmt wird, scheint Donald Trump – bei allen angebrachten Relativierungen – mit heftigem Gegenwind zu kämpfen zu haben.