Mit seiner „Firewall“ will das Sachsenheimer Start-up Rocky Motion mehr Menschen für den Klettersport begeistern. Foto:  

Ein Start-up aus Sachsenheim entwickelt eine interaktive Kletterwand und die passenden Griffe. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

Sachsenheim - Klettern liegt längst im Trend. In den vergangenen Jahren eröffneten überall im Land neue Hallen. Der Deutsche Alpenverein (DAV) geht davon aus, dass hierzulande inzwischen weit mehr als eine halbe Million Hobbysportler zu den „Boulderern“ gehören und sich in rund 530 Kletteranlagen regelmäßig von Griff zu Griff hangeln. Ein Ende der Entwicklung ist dabei nicht in Sicht. Bouldern, das Klettern in Absprunghöhe und ohne Seil, ist auch deshalb so beliebt, weil es ein Training für den ganzen Körper ist und bei der Suche nach dem richtigen Weg die Wand entlang auch immer Köpfchen gefragt ist.

 

Nur: Wer zum ersten Mal vor so einer Wand steht, der weiß häufig nicht, wo anfangen. Griffe gibt es in allen möglichen Formen und Farben, da kann man schnell den Überblick verlieren – gerade als Anfänger. Statistisch kommt nur einer von 15 Neulingen, der zum ersten mal eine Kletterhalle besucht hat, wieder. Für die Hallenbetreiber ist das ein Problem. Helfen, mehr Sportler zu Wiederholungstätern zu machen, könnte eine Erfindung des Start-ups Rocky Motion aus Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg). Sein Versprechen klingt groß: den Klettersport komplett neu erfinden.

Die ersten Griffe haben die Tüftler noch selbst gegossen

Die fünf Männer zwischen 31 und 51 Jahre haben eine interaktive Kletterwand, die „Firewall“, entwickelt. Für die Idee wurden sie als „Kultur- und Kreativpiloten 2021“, dem einzigen Preis der Bundesregierung in diesem Bereich, ausgezeichnet.

Hauptbedienelement der intelligenten Boulderwand sind mit Sensoren versehene Klettergriffe, die bei Berührung – auch mit dem Fuß beziehungsweise Schuh – leuchten. „So kann beispielsweise angezeigt werden, welcher Griff als nächstes gehalten werden muss“, sagt Jan Fiess. Der 31-Jährige ist der kreative Kopf hinter dem Projekt. Gemeinsam mit seinem besten Kumpel Felix Hundhausen hatte er die Idee – bereits vor mehr als acht Jahren. Damals waren die beiden regelmäßig in einer kleinen Halle in Besigheim klettern – und ärgerten sich ab und an, dass ihre Lieblingsrouten wegen eines Kindergeburtstag umgeschraubt worden waren. „Da haben wir gedacht: Eigentlich wäre es cool, wenn man auf Knopfdruck Routen wiederherstellen könnte.“

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Also fingen die beiden an zu basteln, in der Hochschule der Medien in Stuttgart, wo sie studierten, gossen sie die ersten Griffe. Dass es dabei bestialisch stank, bescherte ihnen „etwas Stunk“ mit einem Hausmeister. Inzwischen haben sie mit der österreichischen Firma Artrock einen Partner gefunden, der die transparenten Griffe, die auf jeder normalen Kletterwand montiert werden können, herstellt. „Was es schon auf dem Markt gibt, wird unseren Anforderungen nicht gerecht“, sagt Fiess.

Software bewertet Fähigkeiten des Kletterers

Das Team von Rocky Motion ist über die Jahre gewachsen. Mittlerweile gehören neben Fiess und Hundhausen auch Softwareentwickler Marius Heil, Medienkünstler Andreas Hauslaib und Patrick Kuhn Botelho, der für die Audioentwicklung zuständig ist, dazu. Bisher haben die Fünf, allesamt begeisterte Hobbykletterer, vor allem Mini-Spiele konzipiert. In „PsychoPath“ klettert man durch das Hirn eines psychisch kranken Menschen. Rote Klettergriffe stellen kranke Neuronen dar, bei Berührung werden sie wieder gesund. „Klettern ist das neue Zocken“, sagt Fiess. Ins Englische übersetzt übrigens das Motto der Firma.

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Marktreif ist ihr Produkt derzeit noch nicht. Die Griffe sind in der Herstellung noch zu teuer, gemeinsam mit dem österreichischen Partner müssen Fiess und seine Mitstreiter den Preis drücken, um dann irgendwann im Laufe dieses Jahres in Serie produzieren zu können. „Große Stückzahlen, das ist eine Herausforderung“, sagt der 31-Jährige. Längerfristig will sich das Start-up aber nicht auf die Griffe, sondern auf die audiovisuellen Inhalte und die Technik dahinter konzentrieren. Die Software soll beispielsweise die Leistungsfähigkeit eines Kletterers individuell einstufen und ihm dementsprechende Aufgaben geben, ohne ihn zu überfordern. Eine Klettereinheit kann – wie ein Episodenfilm – irgendwann abgebrochen und ein andermal fortgesetzt werden, so die Idee.

In welchen Kletterhallen gibt es die Wände?

Erzählen lassen sich so beispielsweise auch Geschichten aus der Kletterhistorie. Dass der Kletterer mit Hilfe von Sound, Vibration, Projektionen, vielleicht sogar Wind völlig in eine ander Welt eintaucht, das sei schon denkbar. „Aber je größer man das aufzieht, desto teurer wird es natürlich auch“, sagt Hauslaib.

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Mit dem Griffwerk in Ludwigsburg und einer im Zillertal, haben die Gründer zwar zwei Hallen, in denen sie ihre Ideen ausprobieren können. „Wir haben aber auch gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, da reinzukommen“, sagt Fiess. Dabei spiele sicherlich eine Rolle, dass diese teils stark von Corona gebeutelt seien. Riesige Wände mit der Technik aufzurüsten halten er und Hauslaib deshalb auch für ein wenig illusorisch – zumindest vorerst. Seine Hoffnungen setzt das Team derzeit eher auf einen „eventmedialen Ansatz“. Kleinere Wände, vier auf vier Meter vielleicht, die beispielsweise Firmen für Teambuilding-Veranstaltungen mieten.