Manche Männer erleben sich, sobald es bei der Geburt Komplikationen gibt, als hilf- und machtlos. Foto: AdobeStock/Olga Yastremska

Auch Väter können nach der Geburt ihres Kindes traumatisiert sein. Benjamin Dittrich hat das erlebt. Um anderen Vätern zu helfen, gründete er Deutschlands erste Selbsthilfegruppe für Väter nach der Geburt.

Benjamin Dittrich sagt, er sei Zeuge von Gewalt geworden. Als seine Freundin 2017 ihren gemeinsamen Sohn zur Welt brachte, erlebte sie dabei zahlreiche Übergriffe – und er, der werdende Vater, stand hilflos daneben. Ein Gefühl, das ihn traumatisiert hat, wie er sagt. Um Männern zu helfen, die Ähnliches erlebt haben, gründete der 42-Jährige Deutschlands erste Selbsthilfegruppe für Väter nach belastenden Geburten.

 

Herr Dittrich, was berichten die Männer in Ihrer Selbsthilfegruppe von den Geburten? Was ist für sie belastend oder traumatisch?

Viele Männer und ihre Partnerinnen haben eine Geburt mit Komplikationen erlebt. Oft haben sich die Väter währenddessen hilf- oder nutzlos gefühlt, einige hatten Angst um das Leben von Mutter und Kind. Viele Männer berichten auch explizit von Gewalt. Sie haben zusehen müssen, wie Ärztinnen oder Hebammen übergriffig wurden und erzählen, wie schlimm es für sie war, daneben zu stehen. Sie dachten vorher, dass sie in sicheren Händen sein würden, und dann mussten sie so etwas mit ansehen. Wenn die Väter in der Selbsthilfegruppe daran zurückdenken, weinen viele, teilweise auch noch viele Jahre nach der Geburt des Kindes. Da ist ein großer Schmerz.

Welche Folgen hat dieser Schmerz?

Benjamin Dittrich ist 42 Jahre alt und arbeitet als psychologischer Berater und Paartherapeut. Foto: Lisa Heck

Das sind in der Regel Männer, die sich besonders gefreut haben, Vater zu werden. Diese Freude hat sich bis zur Geburt gesteigert, doch nach der Geburt erleben sie statt Freude nur ein Gefühl von Leere. Nach der Geburt kommt dann häufig Überforderung und Wut. Viele Männer können das nicht einordnen. Sie sind plötzlich wütend auf ihre Frau und das Baby und denken: Dabei liebe ich die beiden doch. Die Folgen, über die die Männer in meiner Selbsthilfegruppe sprechen, sind zum Beispiel Beziehungsprobleme und Bindungsprobleme zum Kind. Und tatsächlich entwickeln manche Väter eine Depression.

Welche Rolle haben Sie selbst bei der Geburt Ihres Sohnes gespielt?

Was ich erlebt habe, ähnelt dem, was ich von vielen Männern in der Gruppe höre: Ich habe mich gefühlt wie in einem Film, in dem ich die Rolle des starken Beschützers spielen sollte. Ich habe meine Emotionen nicht gezeigt, sondern versucht, der Lockere zu sein. Ich habe Witze gerissen, obwohl weder mir noch meiner Partnerin danach zumute war. Da war gar kein Raum für bewusste Ängste.

Was hat die Geburt Ihres Sohnes für Sie traumatisch gemacht?

Zum einen haben wir erlebt, dass die Hebamme direkt nach der Geburt mit unserem Sohn aus dem Zimmer gerannt ist, weil er – wie wir erst nachher erfahren haben – lethargisch war und keine guten Apgar-Werte hatte. Unser Sohn hatte zu viel Fruchtwasser geschluckt. Diese Zeit, es waren ungefähr fünfzehn Minuten, war sehr belastend. Niemand hatte uns gesagt, was los war. Die Geburt hatte sehr lange gedauert. Im Operationssaal kurz vor dem Kaiserschnitt wurden die Arme meiner Freundin ans Bett gebunden. Sie lag da, völlig hilflos, mit beiden Armen zu den Seiten ausgestreckt und fixiert. Und sie hat voller Angst zu mir hochgeschaut.

Warum war Ihre Freundin festgeschnallt?

Das wurde mir damals nicht gesagt. Aber es war wohl die Vorbereitung für den Kaiserschnitt. Dabei war meine Freundin weder panisch, noch hat sie sich gewehrt oder so.

Lief die gesamte Geburt schlecht, oder gab es einen Punkt, an dem die Situation gekippt ist?

Am Anfang ging man gut mit uns um. Dann kam es zu einem Geburtsstillstand, meiner Freundin wurden Mittel gegeben, um die Geburt voranzutreiben, und durch diese Mittel bekam sie Schüttelfrost. Ihr Blutdruck ist gefallen. Ihr ging es immer schlechter, bis schließlich der Kaiserschnitt gemacht wurde. Übergriffig waren die vielen vaginalen Untersuchungen. Die Ärzte und Hebammen untersuchten immer wieder ihren Muttermund, ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen oder es anzukündigen. Dann, als unser Sohn auf der Welt und endlich bei uns war, kam eine Hebamme rein, die wir noch nicht kannten. Sie nahm die Brust meiner Freundin und steckte sie unserem Sohn grob in den Mund. Das hätte ein schöner Moment werden können, aber es war schrecklich.

Welche Auswirkungen hatte das auf Sie?

Zunächst stand im Fokus, dass es meiner Freundin nach der Geburt lange Zeit psychisch sehr schlecht ging. Ich habe erst nachher, als ich die Gruppe gegründet hatte, verstanden, dass auch ich betroffen bin. Es fällt mir sehr schwer festzumachen, was meine Symptome sind. Ich kann nur sagen, dass ich bis heute kein weiteres Kind möchte, weil ich so etwas nicht noch mal erleben will. Wenn ich Paare sehe, die schwanger sind, habe ich immer Mitleid.

Wie läuft ein Treffen Ihrer Selbsthilfegruppe ab?

Die Gruppe trifft sich einmal im Monat. Die Treffen finden online statt. 40 Männer waren bisher in der Gruppe. Kein Vater, der sich neu bei mir meldet, weiß, dass es Gewalt unter der Geburt geben kann. Es geht ihnen schlecht nach der Geburt, aber sie haben nicht begriffen, warum. Es fehlt an Bewusstsein dafür, auch in der Öffentlichkeit. In der Gruppe reden wir über das, was die Männer belastet. Für viele ist es hilfreich zu wissen: Auch Väter können nach schwierigen Geburten ein Trauma oder Depressionen entwickeln. Generell sind viele Männer sehr hart mit sich selbst und kritisieren sich für ihre schlechten Gefühle: „Ich funktioniere nicht richtig, was ist los, warum geht es mir nicht gut?“ Manche von ihnen stoßen in ihrem Umfeld auf Unverständnis.

Inwiefern?

Sie hören dann etwas wie: „Warum beschwerst du dich eigentlich, deine Frau hat doch alles gemacht!“ Oder: „Hauptsache, dem Kind geht es gut.“ Als Vater eine traumatische Geburt zu erleben ist aber nicht nichts. In unserer Gruppe gibt es einen geschützten Ort, um darüber zu sprechen. Darüber hinaus zeige ich den Männern auch Übungen für den Umgang mit belastenden Emotionen, zum Beispiel Entspannungsübungen. Einige Männer gehen auch zur Therapie, aber leider nur sehr wenige.

Was können Väter im Vorfeld der Geburt tun, damit sie mit solchen Situationen besser umgehen können?

Sie sollten sich gut vorbereiten und zum Beispiel gemeinsam mit der Frau einen Geburtsvorbereitungskurs besuchen. Auch Männer können vorher üben, sich selbst zu beruhigen, ruhig zu atmen und mit dem Stress umzugehen. Was Männer im Kreißsaal für die Partnerin machen können, sind handfeste Dinge: zum Beispiel immer wieder fragen, ob sie etwas trinken möchte. Kommt es zu Übergriffen, ist es wichtig, die Rechte der Frau zu verteidigen. Dafür ist es sinnvoll, vorher eine Liste zu machen, welche Eingriffe die Frau nicht möchte oder nur nach Zustimmung. Für manche Paare kann es durchaus auch ein Weg sein, dass der Mann gar nicht bei der Geburt dabei ist und vielleicht durch eine Freundin oder die Mutter der Gebärenden ersetzt wird.