Tuchel steht unter Beachtung, er muss liefern. Foto: dpa/Sven Hoppe

Er sollte den Kader des FC Bayern modernisieren. In der vergangenen Saison klappte das nicht mehr. Im Umfeld des Rekordmeisters gibt es erste Stimmen, die Zweifel an den Fähigkeiten von Thomas Tuchel haben.

Das mit den großen Bauvorhaben in Deutschland ist so eine Sache. Fast immer kommt etwas dazwischen, es tauchen Probleme auf, und plötzlich dauert alles viel länger und wird viel teurer als geplant. Der FC Bayern war sicher gewesen, dass die Sommerpause reichen würde, um den morschen Kader zu modernisieren und der Mannschaft eine neue Statik zu verpassen. Ein Trainer von Weltruf wie Thomas Tuchel würde das doch hinbekommen, war man sich in der runderneuten Spitze des deutschen Rekordmeisters sicher.

Zu viele Risse im Verein, für die Tuchel nichts kann

In den zwei Monaten der vergangenen Saison waren seine architektonischen Fähigkeiten noch verpufft, weil es zu viele Risse im Verein gegeben hatte, zu viel brüchiges Material aufgetaucht war, für das Tuchel alles nichts konnte.

Zum Bundesliga-Auftakt an diesem Freitag bei Werder Bremen sind die Reparaturarbeiten aber noch lange nicht abgeschlossen. Gut, die Bayern haben in Harry Kane jetzt wieder einen echten Neuner, dass dieser Transfer das Budget mit gut 100-Millionen-Euro-Ablöse ziemlich strapaziert hat, wurde hingenommen. „Er erhöht unsere Chancen massiv, gegen Bremen zu gewinnen“, findet Tuchel. Die Lücke, die der Wechsel von Lucas Hernandez zu Paris St. Germain in der Abwehr hinterlassen hatte, konnte immerhin schnell gefüllt werden – mit Min-jae Kim, den sie daheim in Südkorea wegen seiner kompromisslosen Spielweise Monster nennen.

Vieles liegt im Argen – und ein Ex-Profi äußert Zweifel

Und Thomas Müller, der Kommunikator, ist zurück, er steht in Bremen im Kader, wie der Bayern-Trainer wissen ließ. Aber sonst liegt noch vieles im Argen. Im Umfeld des Vereins gibt es erste Stimmen, die Zweifel an der Baumeister-Fähigkeit von Tuchel haben. „Ich habe den Eindruck, dass keiner weiß, woran er ist, wo er beim Trainer steht und wie sein Standing ist“, schrieb Ex-Bayern-Profi Lothar Matthäus in seiner Sky-Kolumne.

Die Verantwortlichen in der Firmenzentrale sind noch ruhig. Es ist ja so etwas wie ein Neuanfang für Tuchel, aber einer ohne Schonfrist. Er steht unter Beachtung, muss liefern, der Vereinsführung und vor allem auch den Spielern vermitteln, dass das, was er macht und sagt, Hand und Fuß hat. Das aber scheint ihm noch nicht gelungen zu sein.

Es geht im Moment vielleicht weniger um das, was Tuchel täglich auf dem Trainingsplatz macht, sondern vielmehr um das, was er sagt. Als er nach der 0:3-Niederlage gegen Leipzig im Supercup am vergangenen Samstag in die Mikrofone knurrte, dass die Leistung „unerklärlich“ sei, beging er den Kapitalfehler eines Trainers. Denn öffentlich Ratlosigkeit einzugestehen, kann der Anfang vom Ende sein.

Gut, Tuchel stand kurz nach dem Schlusspfiff wohl noch zu sehr unter dem Eindruck des missratenen Spiels, etwas später in der Pressekonferenz war er nicht weniger konsterniert, vermied es aber, noch einmal zu sagen, dass er nicht wisse, woran es gelegen habe. „Die Kritik war berechtigt“, gab er mit etwas Abstand am Donnerstag zu. „Ich dachte, wir sind schon einen Schritt weiter“, aber „wir haben noch nicht den richtigen Schlüssel gefunden, um das Schloss zu knacken.“

Kein Trainer hat bei den Transfers so viel Mitspracherecht wie Tuchel

Der FC Bayern des Sommers 2023 ist sicher schon eine Tuchel-Mannschaft, aber nicht so, wie er sich das vorgestellt hat. Als erster Trainer ist er ganz offiziell in die Transferpolitik dieses Sommers eingebunden, hinterlegte nicht nur Wünsche wie sonst bei Bayern üblich, sondern gehört zum siebenköpfigen Ausschuss Sport, der sich mit Kaderplanung beschäftigt. So viel Mitspracherecht hatte ein Trainer noch nie beim FC Bayern und vermutlich wird so viel Mitspracherecht auch nie wieder einer haben.

Allerdings scheint es in diesem Gremien unterschiedliche Präferenzen gegeben zu haben oder nicht immer zu geben. Man habe, monierte Tuchel am Rande der Asientour vor ein paar Wochen, „keine holding six“, keinen Mittelfeldspieler also, der sich als Absicherung versteht und defensiv agiert, anders als Joshua Kimmich, Konrad Laimer oder auch Leon Goretzka, die allesamt offensiv denken.

Tuchel muss aus den Stars und Sternchen eine Mannschaft bilden

Uli Hoeneß, der nach den Turbulenzen am Ende der vergangenen Saison wieder näher – oder besser: noch näher – an seine Bayern herangerückt ist und ebenfalls der Transfer-Taskforce angehört, sieht das anders. Die Frage nach einer Sechs stelle sich für ihn gar nicht, erklärte er. „Weil Laimer ein Transfer ist, an dem wir sehr viel Spaß haben werden.“ Tuchel ist von dem Österreicher zwar überzeugt, wird ihn wohl gegen Bremen von Anfang an bringen, aber ob er ihn geholt hätte, ist fraglich. Den Transfer von Laimer hatte noch Ex-Coach Julian Nagelsmann eingefädelt.

Tuchel weiß, dass es mit neuem Personal alleine nicht getan ist. Es geht auch darum, aus all den Stars und Sternchens, aus den Chefs und Chefchens ein Team mit einer klaren Hierarchie zu bilden. Und beim FC Bayern geht es in diesem Moment auch noch darum, die misslungene Schlussphase der vergangenen Saison aus den Köpfen zu bekommen. Aus denen der Spieler und des Trainers.