Der gewaltsame Tod der kurdischstämmigen Iranerin Masha Amini vor einem Jahr war Auslöser von massiven Unruhen. Foto: dpa/Paul Zinken

Am ersten Jahrestag des gewaltsamen Todes von Mahsa Amini können die iranischen Behörden nicht alle Kundgebungen verhindern. Aminis Vater wurde vorübergehend festgenommen.

„Freiheit, Freiheit, Freiheit“, rufen die Demonstranten, die sich am Samstagabend in der iranischen Stadt Arak südwestlich von Teheran versammelt haben. Es sind nicht mehr als ein paar Dutzend junge Leute, darunter einige Frauen, die ihr Kopftuch abgestreift haben und in der Luft schwenken, wie in einem Video der iranischen Opposition am Sonntag zu sehen war. Die kleine Kundgebung in Arak und ähnliche Demonstrationen in anderen Städten zeigten, dass die Islamische Republik ein Jahr nach Ausbruch der September-Unruhen selbst mit einem Großaufgebot von Einsatzkräften nicht alle Proteste verhindern konnte.

Am 16. September vergangenen Jahres war die 22-jährige iranische Kurdin Mahsa Amini in der Gewalt der Religionspolizei in Teheran gestorben – drei Tage, nachdem sie wegen eines angeblich nicht korrekt gebundenen Kopftuchs festgenommen worden war. Ihr Tod löste landesweite Unruhen mit hunderttausenden Demonstranten aus, die von Mitgliedern der iranischen Führung als gefährlichste Bedrohung für die Islamische Republik seit ihrer Gründung 1979 bezeichnet wurde. Mehr als 500 Menschen starben bei Straßenschlachten.

Wut in der Bevölkerung schwelt weiter

Auch wenn die großen Straßenproteste im Winter endeten, weiß das Regime, dass die Wut in der Bevölkerung über die Bevormundung des Staates wie bei der Kopftuchpflicht für Frauen und über Korruption und Misswirtschaft im Mullah-Staat weiter schwelt. Zum Jahrestag von Aminis Tod waren deshalb tausende Polizisten, regimetreue Milizionäre und Revolutionsgardisten im Einsatz, um Demonstrationen im Keim zu ersticken.

Mahsa Aminis Vater Amjad wurde vorübergehend festgenommen und an einer Gedenkfeier für seine Tochter gehindert. Präsident Ebrahim Raisi traf sich demonstrativ mit Angehörigen von Polizisten, die bei den Unruhen ums Leben gekommen waren. Die Behörden drosselten zudem den Zugang zum Internet, um es Regimegegnern zu erschweren, sich zu Protestkundgebungen zu verabreden.

Die Rechnung der Behörden ging nur teils auf. Die iranische Exil-Aktivistin Daniela Sepehri sagte unserer Zeitung, sie habe aus dem Iran erfahren, dass Menschen in vielen Städten zu Demonstrationen auf die Straße gegangen seien. Im kurdischen Teil des Landes, der Heimat von Mahsa Amini, blieben demnach am Jahrestag aus Protest gegen die Regierung viele Läden geschlossen.

In Teheran und anderen Städten riefen Demonstranten laut Medienberichten die Parole „Tod dem Diktator“, die sich gegen Revolutionsführer Ali Khamenei richtet. Iranische Exil-Menschenrechtler berichteten, bei einigen Zusammenstößen seien Schüsse gefallen. Staatliche Medien meldeten, ein regierungstreuer Milizionär sei erschossen worden.

Die vielen kleinen Demonstrationen zum Jahrestag seien ein wichtiges Zeichen gewesen, sagte der türkische Iran-Experte Arif Keskin unserer Zeitung: „Die Protestbewegung konnte zeigen, dass sie immer noch existiert.“ Der Protest gegen das Regime äußere sich nicht mehr nur bei Straßenkundgebungen, sondern habe sich auf alle Lebensbereiche ausgeweitet. Seit dem vergangenen Jahr gehen viele Iranerinnen ohne Kopftuch auf die Straße, ohne dass das Regime das verhindern kann.

Festnahme eines Ausländers

Die Revolutionsgarde, die Elitetruppe des Regimes, ließ einen Ausländer festnehmen, um die Behauptung der Regierung zu untermauern, die Proteste würden vom Westen gesteuert. Bei dem Verdächtigen, der einen iranischen und einen ausländischen Pass haben soll, über dessen Identität aber sonst nichts mitgeteilt wurde, seien Mobiltelefone und eine beträchtliche Summe US-Dollar gefunden worden, berichtete die Nachrichtenagentur Tasnim, die der Revolutionsgrade nahesteht. Im Iran sind mehrere Doppelstaatler in Haft, denen staatsgefährdende Straftaten vorgeworfen werden.

Kritiker werfen dem Iran vor, die Häftlinge in einer „Geisel-Diplomatie“ als Verhandlungsmasse zu benutzen, um Zugeständnisse des Westens zu erpressen. Unter den Häftlingen sind auch Deutsch-Iraner. Berichten iranischer Exil-Aktivisten zufolge wurde im Iran kürzlich ein weiterer Deutscher mit iranischem Pass verhaftet. Das Auswärtige Amt in Berlin wollte sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht dazu äußern. Bundesaußenminister Annalena Baerbock hatte am Mittwoch mit ihrem iranischen Kollegen Hossein Amirabdollahian telefoniert. In dem Gespräch ging es nach Angaben des Auswärtigen Amtes vor allem um „deutsche Konsularfälle“.