Marianne Kruuse und Egon Madsen Foto: Regina Brocke

Sie haben ihre Bühnenkarriere hinter sich und wollen es noch einmal wissen: Vier Tänzer geben in Egon Madsens Theaterhaus-Produktion „Greyhounds“ Einblick in ihre Erinnerungen und Empfindungen. Einmal klappt das tatsächlich ganz in der Sprache des Körpers.

Muss man sich rechtfertigen, wenn man als Tänzer in einem Alter auftritt, in dem man gemeinhin nicht mehr als Tänzer wahrgenommen wird? Mit Rückblick auf das NDT III, die legendäre und 2006 dennoch eingesparte 40plus-Kompanie des Nederlands Dans Theater, ist die Antwort klar: Niemals! Dieser Zusammenschluss reifer Tänzer bewies, dass technische Virtuosität nicht alles ist und gerade ältere Bühnenpersönlichkeiten jede Menge Anrührendes, Gehaltvolles und Groteskes zu erzählen haben.

Dass nun das einstige NDT-III-Mitglied Egon Madsen sein am Sonntag uraufgeführtes Theaterhaus-Experiment „Greyhounds“ ausgerechnet mit der Frage nach dem Warum beginnt, irritiert – und soll irritieren. Denn schon bald vereitelt die Bühnentechnik die verbale Auseinandersetzung mit dieser Frage. Aus Egon Madsen, dem Entertainer im schwarzen Anzug mit Fliege, bricht der Tänzer hervor. Sprechende Gesten erzählen viel anmutiger und anschaulicher als Worte von der Liebe zum Körperausdruck, von der Sehnsucht nach Beachtung und Bühnenpräsenz.

In dem 60-minütigen Stück unter Beteiligung von fünf namhaften Schrittmachern kehrt das verbale Erzählen jedoch bald zurück: in den aus dem Off eingespielten Stimmen der Protagonisten Julia Krämer, Marianne Kruuse, Thomas Lempertz und Egon Madsen. Und so haben die choreografischen Parts von Amos Ben-Tal, Mauro Bigonzetti, John Neumeier und Eric Gauthier kaum eine Chance, eine Darstellungskraft über das Illustrative hinaus zu entwickeln.

Erschütterndes Goecke-Solo für Lempertz

Einzige Ausnahme: Marco Goeckes schauerlich-erschütterndes Solo für Thomas Lempertz. Wie sich das Lampenfieberzittern hier zu hackmesser-scharfen Hebelbewegungen der Unterarme vergrößert, mit welchem Entsetzen der ehemalige Solo-Tänzer des Stuttgarter Balletts aus seinem Arm-Guckkasten in erwartungsvolle Augen blickt und sich trotz seines noch immer durchtrainiert-glatten Körpers viel gebrechlicher und ausgezehrter zeigt als etwa der 73-jährige Madsen – das ist unmittelbar mitteilsam und vieldeutig zugleich.

Ausgerechnet Lempertz, den das Publikum als komödiantisches Talent im Gedächtnis hat, gibt Egon Madsens „Greyhounds“ tragische Tiefe und liefert den Beweis dafür, wie viel Potential Ballettbühnen verloren geht, wenn sie keinen Raum für die Arbeit mit gereiften Tänzern lassen.

Julia Krämers Erinnerungen

Mauro Bigonzetti hat Julia Krämer für ihr Solo an einen Tisch mit Fotos platziert. Die Konfrontation mit der Vergangenheit fährt ihr förmlich in die sich verselbständigenden Glieder, führt zu Momenten der Freude, aber auch der Ablehnung und Abwehr.

Ganz anders Marianne Kruuse und Egon Madsen, die in aller Behutsamkeit einen John-Neumeier-Pas-de-deux des Jahres 1968 nachempfinden und einander mit Blicken versichern, dass man als Tänzer nur besteht, solange man beachtet und betrachtet wird. So hübsch diese persönlich gefärbten Impressionen auch sein mögen: Wie bei einem Patchwork-Muster stehen sie kantig nebeneinander, runden sich nicht zu einem Ganzen. Und so setzt Eric Gauthier mit einer frech-vergnüglichen Varieté-Einlage den vereinenden Schlusspunkt und erklärt „Greyhounds“ leichter Hand zur besten Freakshow der Stadt.

Der frenetische Jubel mit Ovationen im stehen lässt keinen Zweifel daran, dass man sich auf dem Stuttgarter Pragsattel befindet. Die Erinnerungen ans NDT III sind verflogen. Die Frage nach dem Warum aber, sie kehrt zurück.

Nächste Vorstellungen: an diesem Dienstag, Mittwoch und Donnerstag jeweils 20.15 Uhr sowie Ende Dezember und Anfang Januar. Karten gibt es unter 07 11 / 402 07-20. Mehr Informationen unter: www.theaterhaus.com