In einen Zwischenraum dieser dreilagigen Struktur wird Bauschaum gesprüht, der das Teil verfestigt. Der andere Zwischenraum bleibt frei und dient zur Lüftung. Foto: Horst Rudel

Mit einem neuen Verbundwerkstoff wollen die Textilforscher die Architektur revolutionieren. Der Werkstoff ist leicht, sehr fest und recycelbar. Er ist ideal für Dämmplatten oder für den Bau ganzer Zeltstädte.

Denkendorf - Am Anfang des Baustoffs, der im Denkendorfer Textilforschungszentrum zur Zeit entwickelt wird, stand ein Seeigel, ein ziemlich platter obendrein. Der Sanddollar lebt an den Küsten aller sieben Meere und hat ein überaus stabiles Skelett, das von feinen Fäden durchzogen ist. Bioniker haben diese Struktur den Denkendorfern vorgeführt, und die Wissenschaftler überlegten sich, wie man das nachbauen könnte. Dazu programmierten sie eine Teppichwebmaschine und verspannten Polyesterfäden.

Der Zwischenraum wird ausgeschäumt

Normalerweise arbeitet eine Teppichmaschine zweilagig, so kann sie zwei Teppiche auf einmal weben. Oben ein Grundgewebe, unten ein Grundgeweben, dazwischen sind die Teppichfäden. Diese werden in der Mitte durchgeschnitten, und schon erhält man zwei Teppiche. Lässt man die Struktur aber zusammen, dann wird es für die Textilforscher interessant. Mehr noch: der Ingenieur Hans-Jürgen Bauder kam auf die Idee, den Zwischenraum mit Bauschaum auszuschäumen. Dadurch erhält er eine extrem leichte und stabile Platte.

Sofort begannen er und seine Mitarbeiter mit verschiedenen Strukturen zu experimentieren. „Der Hersteller glaubte uns gar nicht, was man mit seiner Webmaschine alles machen kann“, erinnert sich Hans-Jürgen Bauder. Sie woben Kissen, sie woben dreidimensionale Muster, sie woben ganze Fassadenmodule.

Noch sind die Forscher im Versuchsstadium. Beinahe entschuldigend zeigt Hans-Jürgen Bauder seine ersten Entwürfe, wo er herauszufinden versuchte, wie weit sich der Bauschaum mit dem Teppich verbindet. Etliche Anwendungen schwirren Hans-Jürgen Bauder im Kopf herum. Denn das Material ist extrem leicht.

Protektoren für den Rad- oder Skisport

Damit ließe sich etwa ein Zelt weben, das in einem Katastrophengebiet zum Einsatz kommen könnte. Es wird dort ausgeschäumt und damit zu einer festen Behausung. Ebenfalls überlegt er sich, Protektoren für den Rad- oder Skisport zu entwickeln. „Unsere Strukturen sind bis zu dreißig Mal stabiler als herkömmliches Material“, sagt Bauder. Das bedeutet: Entweder dreißig Prozent mehr Sicherheit, oder die gleiche Sicherheit und dreißig Prozent weniger Material und Gewicht. Besonders im Spitzensport wäre das vielleicht entscheidend für Sieg oder Niederlage im Wettkampf. Ebenso kann er sich vorstellen, aus seinem Polyester-Teppich Fallschirme oder Gleitschirme zu bauen. Sie würden nicht so schnell zusammenfallen wie herkömmliche Schirme und böten mehr Sicherheit.

Gerade versuchen die Textilforscher, die Materialeigenschaften besser zu verstehen. Sie haben schon herausgefunden, dass je nach Fadendichte der Schaum verschieden aufschäumt, sodass sie tragende Strukturen genauso wie dämmende Strukturen in den gleichen Teppich sprühen können. Außerdem wollen sie mit anderen Materialien arbeiten. So könnten sie Gewebe und Schaum aus Laktid verwenden, was hundertprozentig biologisch abbaubar wäre.

Ebenso könnten sie Fasern aus Mineralien verwenden, etwa Basalt, und man hätte die leichte und nicht brennbare Dammplatte der Zukunft. Gerade solche modernen Materialien könnten viele Probleme der Gegenwart lösen. Ein Beispiel wäre ein weiterer Verbundstoff: Beton, der nicht mit Stahl armiert wird, sondern mit Karbongewebe. Stahlarmierungen beginnen ab einem gewissen Alter zu rosten und zerstören den Beton. Karbongewebe tut das nicht, und so könnten Betonbauwerke zum einen dünner und leichter gebaut werden, zum anderen hätten sie eine ungleich längere Lebensdauer.

Vielleicht auch eine zukunftsweisende Technik für Esslingen: das finanzielle Hauptproblem der Stadt sind ihre fünf großen Brücken, allesamt aus Stahlbeton, die jetzt kaputt gehen. Mit Karbon hätten sie vielleicht eine längere Lebensdauer.