Die Betriebsrente ist für viele Arbeitnehmer ein wichtiger Bestandteil ihrer Altersversorgung Foto: blende40/Fotolia

Je tiefer die Zinsen fallen, desto mehr Kapital müssen deutsche Unternehmen reservieren, um ihre Zusagen an die Mitarbeiter zu halten.

Stuttgart - Für Unternehmen werden Betriebsrenten wegen der extrem niedrigen Zinsen zu einem wachsenden Risiko. Immer mehr Firmen verabschieden sich davon, ihren Mitarbeitern einen festen Betrag als Betriebsrente zuzusagen. Je tiefer die Zinsen, desto höhere Belastungen kommen auf die Unternehmen zu. Sie müssen mehr Rückstellungen bilden, damit das, was sie ihren Mitarbeitern fürs Alter versprochen haben, später auch vorhanden ist – wenn das Geld gebraucht wird. In den Bilanzen der Unternehmen geht es um riesige Summen.

Daimler und EnBW stocken massiv auf

Die EnBW beispielsweise hat von 2011 bis 2014 ihre Pensionsrückstellungen um 2,4 Milliarden Euro aufgestockt. Entsprechend höher sind die Schulden ausgefallen. Daimler hat seit 2010 zusätzlich mehr als 7,4 Milliarden Euro in sein Pensionsvermögen eingezahlt, um Ansprüche abzusichern. Siemens hat allein 2014 die Pensionsrückstellungen um gut 700 Millionen aufgestockt. Auch Schuler hat im vergangenen Jahr die entsprechenden Rückstellungen verstärkt.

Wie mittlerweile viele Unternehmen sagt der Pressenhersteller neuen Mitarbeitern keine feste Betriebsrente mehr zu. Er erwägt sogar, den knapp 10 000 Beschäftigten und Rentnern, die noch Ansprüche aus früheren Zeiten haben, diese abzukaufen. Auch Heidelberger Druckmaschinen stellt jetzt die betriebliche Altersversorgung um – von einer festen Zusage, die sich am Endgehalt orientierte, auf eine Zusage, den Mitarbeitern einen bestimmten Beitrag auf ein Vorsorgekonto einzuzahlen, was dem Prinzip von Lebensversicherungen nahekommt.

Betriebsrenten im Mittelstand besonders wichtig

„Das Niedrigzinsumfeld sorgt für eine steigende Belastung aus Pensionsrückstellungen – unabhängig von der Unternehmensgröße“, sagt Markus Arnold, bei Allianz Leben verantwortlich für Firmenkunden. Kleinere Unternehmen, die etwa ihren Geschäftsführer mit einer Pensionszusage abgesichert haben, trifft ein Todes- oder Invaliditätsfall besonders hart. „Wenn plötzlich eine Berufsunfähigkeitsrente von beispielsweise monatlich 2000 oder 3000 Euro fällig wird, ist das für ein kleines oder mittleres Unternehmen meist schwer zu verkraften.“

Gerade im Mittelstand sind Betriebsrenten wichtig, betont Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW). „Sie helfen, den Fachkräftemangel abzumildern, weil so qualifizierte Mitarbeiter gewonnen und an die Betriebe gebunden werden.“ Der Umfang der Pensionsverpflichtungen im Mittelstand beträgt Ohoven zufolge über 23 Milliarden Euro. Weil es immer schwieriger werde, die Zusagen zu finanzieren, müssten die Pensionslasten immer stärker aus den Erträgen des laufenden Geschäfts bezuschusst werden. „Dass dann weniger Kapital für Investitionen in Maschinen, Anlagen und für Innovationen zur Verfügung steht, liegt auf der Hand. Dies kann für Mittelständler durchaus existenzbedrohend sein.“

Keine großzügigen Pensionszusagen für neue Mitarbeiter

Verschärft wird die Situation, weil Unternehmen nach dem Steuerrecht Rückstellungen mit einem Zinssatz von unverändert sechs Prozent abzinsen müssen. Die Rückstellungen fallen dadurch zu gering aus. „Der Gesetzgeber muss die Niedrigzinsphase bei der Abzinsung berücksichtigen“, fordert Ohoven. Ein niedrigerer Zinssatz würde allerdings zu höheren Rückstellungen und damit zu Steuerausfällen führen. Die wachsenden Belastungen haben die Betriebsrente in Form einer direkten Zusage für Unternehmen unattraktiv gemacht. Großzügige Pensionszusagen gibt es für neu eingestellte Arbeitnehmer nicht mehr.

Viele Unternehmen haben ihr Programm umgestellt: von der Zusage eines festen Rentenbetrags hin zu einer beitragsorientierten Zusage. „Bei versicherungsförmigen Lösungen über Lebensversicherer, Pensionskassen oder Pensionsfonds trägt nicht das Unternehmen das Risiko, sondern der Versicherer“, sagt Allianz-Experte Arnold.

„Da geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag für die EnBW“

Für die Beschäftigten bedeutet die Versicherungslösung: Sie können kaum noch einschätzen, mit wie viel sie am Ende rechnen können. Immer öfter klagen Mitarbeiter oder Rentner wegen der Betriebsrente gegen ihr Unternehmen. „In der Summe haben die Verfahren zugenommen“, sagt Ulrich Hensinger, Sprecher beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. „Es geht fast immer um Kürzungen von Zusagen, die Unternehmen sehr teuer zu stehen kommen.“

Nach der großen Klagewelle von IBM-Betriebsrentnern ist das Landesarbeitsgericht derzeit mit den Klagen von Mitarbeitern der EnBW beschäftigt. „Im Herbst werden knapp 100 Verfahren verhandelt“, sagt Hensinger. Ein Sparprogramm der EnBW hatte erhebliche Eingriffe zur Folge in eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung aus besseren Zeiten. Das Grundsatzverfahren hätte große Auswirkungen auf das Unternehmen, sollten die Kürzungen zurückgenommen werden müssen. „ Da geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag für die EnBW“, so Hensinger. Auch bei anderen Unternehmen würden die Streitigkeiten zunehmen.

Hintergrund: Betriebsrente

Hintergrund: 60 Prozent der Arbeitnehmer bekommen eine Betriebsrente

Rund 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind heute über eine betriebliche Altersversorgung abgesichert. Dieser Anteil wächst seit einigen Jahren nur geringfügig. „Das bedeutet, dass es immer noch eine Lücke von 40 Prozent gibt“, sagt Markus Arnold, bei Allianz Leben verantwortlich für Firmenkunden. Auch innerhalb der 60 Prozent sieht Arnold noch Nachholbedarf: „Nicht jeder hat eine auskömmliche Betriebsrente. In die 60 Prozent fließt alles ein von sehr bescheidenen Anwartschaften bis hin zur Spitzenversorgung.“

Die Bundesregierung will die betriebliche Altersversorgung gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen stärker fördern. Das ist aus Sicht von Arnold notwendig. Vor allem bei den unteren Einkommensgruppen nahe dem Mindestlohn müsse es stärkere Anreize geben. „Wenn jemand von einem kleinen Gehalt etwas anspart und später in die Grundsicherung fällt, darf es nicht mehr passieren, dass seine Betriebsrente damit verrechnet wird.“

Auch bei der vollen Belastung der Betriebsrente mit Pflege- und Krankenversicherungsbeiträgen tut Veränderung not. „Es ist ein psychologisches Hemmnis, wenn Arbeitnehmer in der Ansparphase einen halben Beitragssatz sparen und in der Auszahlungsphase den vollen Beitragssatz zahlen müssen“, sagt der Allianz-Manager. Es würde der betrieblichen Altersversorgung einen deutlichen Schub geben, wenn man an der Stelle zu einer moderaten Belastung von etwa einem halben Beitragssatz käme.