Viele Menschen fühlen sich mit ihren Sorgen allein gelassen und wissen nicht, mit wem sie reden sollen. Foto: dpa

Ein Drittel der rund 40.000 Anrufer bei der Telefonseelsorge im Jahr 2011 sorgten sich um ihren Arbeitsplatz und die Familie.

Stuttgart - Wirtschaftskrise, unsichere Arbeitsverhältnisse oder der Streit mit Familienmitgliedern sind nur einige Dinge, die viele Menschen belasten. Viele fühlen sich mit ihren Sorgen allein gelassen und wissen nicht, mit wem sie reden sollen. Manche wenden sich in einer solchen Situation an die Stuttgarter Stuttgart - Telefonseelsorger.

„Die Telefonseelsorgen der Katholischen und Evangelischen Kirche sind Seismografen für gesellschaftliche Entwicklungen“, so Krischan Johannsen, Leiter der Evangelischen Telefonseelsorge Stuttgart. Wenn etwas passiert oder besondere Ereignisse die Menschen beschäftigen, merke man das auch am Telefon. Gerade vor und nach den Weihnachtsfeiertagen klingelt das Telefon besonders häufig.

Der Leistungsdruck sei stark gewachsen und steige immer weiter an, sagt Johannsen. „Viele Menschen haben zwar einen Arbeitsplatz, aber sie wissen nicht, wie sicher dieser ist.“

„Wir können am Leben halten, aber nicht heilen“

Im Rückblick auf 2011 hat Johannsen festgestellt, dass Angst eine besondere Rolle in den Gesprächen gespielt hat. Diesen Eindruck bestätigt auch der Leiter der katholischen Telefonseelsorge Ruf und Rat, Thomas Krieg. „Geschätzte 30 Prozent der Gespräche dreht sich um Ängste“, sagt Krieg. Dabei nehme das Thema Angst verschiedene Formen an. „Viele Anrufer sind von der Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit oder vor Familienproblemen so gelähmt, dass sie keinen Ausweg sehen.“ Die Telefonseelsorge kann den Anrufern nur insoweit helfen, dass jemand da ist und zuhört. „Wir können am Leben halten, aber nicht heilen“, sagt Johannsen.

Stattdessen versuchen die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen den Anrufern eine andere Perspektive aufzuzeigen. „Vielen hilft es nämlich, das Problem einmal von einem anderen Standpunkt aus zu sehen“, sagt Krieg. Allerdings stoßen die Mitarbeiter immer wieder an ihre Grenzen; man könne die Probleme der Menschen nicht am Telefon lösen. „Oftmals führt die Angst in eine Sucht. Menschen nehmen Drogen oder verletzen sich selbst“, so der Leiter der evangelischen Einrichtung.

Auch Einsamkeit belastet die Menschen

Angst und Furcht spielen auch bei den anderen Gesprächsthemen eine Rolle. Depressionen und seelische Not sind statistisch der häufigste Grund, weshalb Frauen und Männer zum Telefon greifen. Bei mehr als jedem vierten Anruf (28 Prozent) ging es um diese Gefühle. Auch Einsamkeit belastet die Menschen. Davon sind nicht nur Alleinlebende betroffen. Vielen fehle es gerade in der Familie oder in der Beziehung an Gesprächspartnern, so die Seelsorger. Der Aspekt Suizid spielt statistisch gesehen keine große Rolle. Dennoch wenden sich immer wieder Menschen an die Seelsorger, die sagen, sie wollten sich das Leben nehmen.

Nach wie vor suchen mehr Frauen (70 Prozent) die Hilfe der Telefonseelsorger. Insgesamt sind diese für etwa 2,2 Millionen Menschen im Einzugsbereich der Region Stuttgart zuständig. Im Jahr 2011 wurden 40 519 Gespräche geführt.

Tag und Nacht und an 365 Tagen im Jahr sind vier Telefone mit speziell ausgebildeten Mitarbeitern besetzt. Die evangelische Seelsorge bietet zusätzlich noch Hilfe per E-Mail und Chat an. Alle Angebote sind kostenlos, und sowohl der Anrufer als auch der Mitarbeiter der Telefonseelsorge bleiben anonym. Eine Schicht dauert viereinhalb Stunden. In der Nacht sind die ehrenamtlichen Helfer von 22 Uhr am Abend bis 7 oder 8 Uhr am Morgen zum Dienst eingeteilt. „Die Anrufe bei der Telefonseelsorge reißen auch in diesem Jahr nicht ab – trotz guter wirtschaftlicher Lage“, so Johannsen.

Evangelische Telefonseelsorge 0800 / 1110111, katholische Telefonseelsorge Ruf und Rat 0800 / 1110222