Der Quantensensor ist aktuell so groß wie ein Smartphone. Foto: Bosch

Verlässliche Reichweitenanzeigen bei Elektroautos, genauere Navigation, bessere Prothesen – der Bosch-Konzern sieht viele Anwendungsgebiete für die hochempfindlichen Sensoren.

Elektroautofahrer kennen das Problem: Auf die Anzeige der Reichweite kann man sich nur bedingt verlassen. Manchmal hält der Akku länger durch als angegeben, manchmal ist er aber auch schon früher leer. Besserung versprechen neuartige Quantensensoren, an denen der Zulieferer Bosch arbeitet. Die Hightechmessgeräte könnten künftig den Ladezustand von Batterien genauer erfassen als bisherige Systeme. Fahrten ließen sich dann besser planen und unnötige Ladestopps vermeiden – so die Erwartung der Entwickler.

Die Überwachung von Batterien ist aber nur eines von vielen möglichen Einsatzgebieten für Quantensensoren, wie Katrin Kobe erläutert. Die promovierte Physikerin leitet das 2022 gegründete Start-up Bosch Quantum Sensing, das organisatorisch zur Automobilelektronik-Sparte des Konzerns gehört und rund 30 Personen beschäftigt.

Enorme Empfindlichkeit

Quantensensoren sind um ein Vielfaches empfindlicher als bisher übliche Sensoren. Sie könnten daher zum Beispiel auch Nervenimpulse erfassen, um damit Prothesen zu steuern. Weitere mögliche Anwendungen sind die Erkennung von Herzproblemen oder präzisere Navigationssysteme. Mitte des kommenden Jahrzehnts könnte das weltweite Marktvolumen für Quantensensoren in den Bereichen Medizin und Mobilität einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr erreichen, schätzen die Bosch-Experten. Angaben zu seinen eigenen Investitionen in die Quantensensorik macht der Konzern nicht.

Bei den ersten Prototypen habe man für die nötige Technik noch einen ganzen Labortisch gebraucht, berichtet Kobe. „Mittlerweile ist der komplette Sensor nur noch so groß wie ein Smartphone.“ Und die Entwicklung geht weiter. „Unser Ziel ist es, die Quantensensoren so weit zu miniaturisieren, dass sie sich auf einem Chip integrieren lassen“, sagt die Physikerin. Kleinere Sensoren ließen sich nicht nur leichter einbauen, sie seien auch günstiger in der Herstellung.

Herzstück der Quantensensoren sind winzige Kunstdiamanten, in denen einige Kohlenstoffatome durch Stickstoffatome ersetzt wurden. „Dadurch gibt es in den Diamanten freie Elektronen“, erklärt Produktmanager Riccardo Cipolletti bei der Führung durch das Labor von Bosch Quantum Sensing in Ludwigsburg. Unter dem Einfluss eines Magnetfelds verändern sich die Bewegungen der Elektronen. Um diese Veränderungen zu erfassen, wird der Diamant mit Laserlicht bestrahlt. Am Spektrum des zurückgestrahlten Lichts kann man dann die Aktivität der Elektronen und damit auch Stärke und Ausrichtung des Magnetfeldes ablesen. Das machen sich die Entwickler etwa bei der Batterieüberwachung zunutze. Sowohl beim Laden als auch beim Entladen eines Akkus fließt Strom. Wer in Physik aufgepasst hat, erinnert sich vielleicht noch daran, dass dadurch ein Magnetfeld entsteht. Wird dieses mit einem Quantensensor erfasst, lässt sich genau messen, wie viel Strom in die Batterie hinein- und wieder herausfließt.

Herzsensor in der Matratze

Auch im menschlichen Körper gibt es elektrische Ströme. Sie dienen der Reizleitung in den Nerven oder steuern die Bewegung von Muskeln. Quantensensoren messen die entstehenden Magnetfelder und machen es zum Beispiel möglich, die Herztätigkeit berührungsfrei zu überwachen. Beim traditionellen EKG braucht es dazu Elektroden. Prinzipiell könnten Quantensensoren sogar in Matratzen oder Kleidungsstücke eingearbeitet werden, heißt es bei Bosch. So ließe sich zum Beispiel die Früherkennung von gefährlichem Vorhofflimmern verbessern. Eine andere mögliche Anwendung seien Hirn-Computer-Schnittstellen. Sie könnten es möglich machen, medizinische Prothesen quasi per Gedankenkraft präzise zu steuern.

Ein großes Potenzial sieht Bosch auch im Bereich der Navigation. An die Stelle der heutigen satellitengestützten GPS-Systeme könnten Geräte mit Quantensensoren treten, die sich an kleinräumigen Unterschieden im Erdmagnetfeld orientieren. Solche Navigationssysteme ermöglichten nicht nur eine genauere Ortung. Sie seien auch weniger anfällig für Störungen.

In den kommenden zwei Jahren plant Bosch erste Quantensensorik-Pilotprojekte mit Kunden aus den Bereichen Medizin und Mobilität. „Wir sind mit namhaften Autoherstellern im Gespräch“, so Kobe. Bis zum Einsatz der Technik in der Großserienproduktion könnten aber noch zehn bis zwölf Jahre vergehen, schätzen die Bosch-Verantwortlichen. Auch der Airbus-Konzern wolle in seinen Flugzeugen künftig Quantensensoren für die Navigation nutzen.

Quantenphysik als Basis

Grundlage
  Erkenntnisse der Quantenphysik finden heute auf vielen Gebieten praktische Anwendung. Grundlage ist die Erkenntnis, dass kleinste Teilchen wie Elektronen oder Photonen ihr Energieniveau nicht stufenlos, sondern nur in klar unterscheidbaren Schritten verändern können. Hinzu kommt das schwer verständliche Phänomen der Verschränkung. Beliebig weit voneinander entfernte Teilchen können demnach so miteinander verbunden sein, dass sich die Zustandsänderung eines Teilchens sofort auf das andere überträgt.

Anwendung
Neben Quantensensoren arbeiten die Entwickler auch an Quantencomputern, die bisher unerreichbare Rechenleistungen erzielen. Sie rechnen auf Basis sogenannter Qubits. Diese können nicht nur die Zustände null und eins annehmen wie die aus den bisherigen Computern bekannten Bits, sondern auch alle möglichen Zustände dazwischen. Auch in Halbleitern, Lasern, Glasfasernetzwerken oder auch in Magnetresonanztomografen (MRT) werden quantenphysikalische Phänomene genutzt.