Mit Schirmen schützen sich die Menschen beim Taylor-Swift-Konzert vor der sengenden Sonne. Foto: AFP/TERCIO TEIXEIRA

Gefühlte 59 Grad sorgen in Rio de Janeiro für Hitzequalen. Bei einem Konzert von Taylor Swift stirbt eine Zuschauerin, ein zweites Konzert wird verschoben. Hätten die Behörden früher einschreiten müssen?

Der Hitzetod von Ana Clara Benevides (23) bei einem Konzert von Taylor Swift in Rio de Janeiro erschüttert nicht nur die Musikwelt, er ist längst ein Politikum. Denn erstmals dürften die Folgen des Klimawandels auch die Konzertveranstalter vor richtungsweisende Fragen stellen. Wann ist die Ausrichtung eines Konzerts noch zu verantworten – und wann nicht? Die Regierungsbehörden in Brasilien, die offenbar selbst keine Probleme damit hatten, bei gefühlten Rekordtemperaturen von 59 Grad (Hitze und Luftfeuchtigkeit) irgendwelche Bemühungen zu unternehmen, das Millionengeschäft zu unterbinden, wollen nun Antworten vom Konzertveranstalter und setzen eine Frist von 24 Stunden. Unmittelbar vor dem zweiten geplanten Konzert dieser Mega-Tour verschob Taylor Swift den Auftritt bereits. „Es bricht mir das Herz, zu sagen, dass wir heute Abend einen Fan verloren haben“, schrieb sie auf Instagram.

Ihre Anwälte und die der Veranstalter dürften auch über mögliche Schadensersatzansprüche nachgedacht haben, wenn es erneut zu Toten oder Verletzten kommt: „Ich schreibe dies aus meiner Umkleide im Stadion. Ich habe die Entscheidung getroffen, das heutige Konzert aufgrund der extremen Temperaturen in Rio zu verschieben. Die Sicherheit und das Wohlergehen meiner Fans, Mit-Performer und der Crew müssen und werden immer Priorität haben.“

Mitnahmeverbot für Wasserflaschen

Nun werden sich die Juristen darüber streiten, ob das Mitnahmeverbot von Wasserflaschen dafür mitverantwortlich ist. Veranstalter und Behörden dürften sich unangenehme Fragen stellen müssen. Denn wirklich überraschend ist das Drama um den Herz-Kreislauf-Tod der Studentin nicht. In den letzten Tagen liegt nicht nur Rio de Janeiro unter eine enormen Hitzeglocke. Tausende Menschen drängen sich am Copacabana-Strand, um einen kühlenden Platz im Wasser zu bekommen. Doch nicht unter sengender Mittagssonne, sondern mitten in der Nacht. Weil nach vermeintlicher Abkühlung auch in der Dunkelheit der brasilianischen Nacht noch gefühlte 30 Grad gemessen werden, strömen die Cariocas, wie die Einwohner Rios heißen, derzeit auch in der Dunkelheit an die Strände der Millionenmetropole und springen ins Wasser.

Neue Rekordtemperaturen erwartet

Eine außergewöhnlich heiße Luftmasse sorgt in weiten Teilen Brasiliens derzeit für viel höhere Temperaturen als normal. Eigentlich hat in dem größten südamerikanischen Land der Sommer noch gar nicht begonnen, doch schon jetzt – zum zweiten Mal in diesem Jahr – jagen Hitzerekorde den Energieverbrauch auf Rekordhöhen. „Es ist nicht zum Aushalten. Zu Hause wird man wahnsinnig“, berichtet Mayarah (27) im brasilianischen Fernsehen, warum sie sich nachts am Strand aufhält. Und zeigt auf ihrem Handy Bilder, die dokumentieren, wie sie auf dem Boden liegend in ihrem Haus im Luftzug des Ventilators Abkühlung sucht. In den Armenvierteln, wo einige Häuser oder Hütten Wellblechdächer haben, sammelt und staut sich die Hitze besonders. Wer sich keine Klimaanlage für umgerechnet mindestens knapp 300 Euro leisten kann oder die hohen Stromkosten dafür scheut, der sucht nun nach Alternativen. Und da bleibt nur noch das Meer.

Nach Angaben des Meteorologie-Unternehmens Metsul deuten die Prognosen darauf hin, dass auch die für die nächste Woche vorhergesagten Temperaturen in allen fünf Regionen des Landes deutlich über den historischen Höchsttemperaturen liegen werden. Dem meteorologischen Dienst der Stadtverwaltung von Rio zu Folge lag die gefühlte Temperatur in Guaratiba am Dienstag mit 59,5 Grad Celsius über allen je gemessenen Werten. Nach Angaben des Nationalen Meteorologischen Instituts Inmet sind mehr als 2500 Gemeinden von der Hitzewelle im ganzen Land betroffen. Davon stehen rund 1400 unter einer Gefahrenwarnung, und rund 1200 Städte sind als stark gefährdet eingestuft. Nach Angaben der Wetterdienste werden die Temperaturen im Laufe der Woche in vielen Gebieten zwischen 10 und 15 Grad über den historischen Durchschnittswerten liegen. „Dies wird an vielen Orten im Zentrum Brasiliens zu ungewöhnlichen und noch nie dagewesenen Höchstwerten führen", heißt es auf der Website. Vor allem für ältere Menschen bedeuten diese Rekordtemperaturen eine große körperliche Belastung.

Stromnetz an der Belastungsgrenze

Das alles hat Folgen für die Energieversorgung. Zu Wochenbeginn verzeichnete der nationale Stromnetzbetreiber ONS einen neuen Rekord bei der Lastnachfrage im nationalen Verbundnetz: Um 14.40 Uhr kletterte der Verbrauch über die Marke von 100.955 Megawatt. Das brasilianische Stromnetz ist an seiner absoluten Belastungsgrenze angekommen.

Die Hitzewelle erwischt Brasilien zu einer Jahreszeit, in der normalerweise die Regenzeit bereits begonnen hat. Dann erfüllen die Wolken die Funktion einer Art Temperaturkontrolle. „Doch die Wolken fehlen und damit auch dieser Schutz“, erklärt Anete Fernandes, Meteorologin bei Inmet. Einerseits sind es die Folgen des Klimawandels, die die Temperaturen auf immer neue Rekorde heben, andererseits ist es auch das immer wiederkehrende Klimaphänomen El Nino, das das Wetter in Südamerika beeinflusst.