Darf die GDL immer wieder ungebremst streiken? Die Arbeitsgerichte gewähren den Gewerkschaften generell einen großen Spielraum. Auf längere Sicht besteht für GDL-Chef Claus Weselsky aber ein juristisches Risiko .
Davon kann der Bahnkunde ziemlich sicher ausgehen: Dem bis Freitag angesetzten Streik der Lokführergewerkschaft werden weitere folgen. GDL-Chef Claus Weselsky denkt schon voraus: „Wenn nichts kommt bis Freitag (von der Deutschen Bahn), machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskampf“, sagte er.
Dies kann sich auch das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) ausrechnen, das den Ausstand nicht gestoppt, sondern eine positive Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt vom Vortag bestätigt hat. Kann sich die GDL denn alles leisten, um das Land lahmzulegen? Diese Frage dürften sich nun wieder viele Bahnkunden stellen. Die Antwort ist schlicht: Sie kann sehr weit gehen. Schon in früheren Tarifkonflikten waren Versuche der Bahn, Streiks auf juristischem Wege zu unterbinden, meistens erfolglos.
Die Hürden für den Arbeitgeber liegen hoch in Eilverfahren
Der Vorsitzende Richter am LAG, Michael Horcher, ist ein ausgesprochener Experte für Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Aus seiner Sicht ist nicht erkennbar, dass die GDL aktuell rechtswidrige Streikziele verfolgt oder gegen die Friedenspflicht verstößt.
Streiks werden von den Arbeitsgerichten, die oft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – also kurz vorher – zu entscheiden haben, selten untersagt. Dies hat viel damit zu tun, dass dem Streikrecht zur kollektiven Durchsetzung von Interessen ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird. Zur Feststellung der Rechtmäßigkeit gibt es nur wenige verfassungsmäßige Vorgaben und rechtliche Grundsätze. Ihre Auslegung wird von den (Landes-)Arbeitsgerichten vorgenommen.
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Streiks ist es, dass er von einer Gewerkschaft geführt wird, die ein tariflich regelbares Ziel verfolgt – und dass der Ausstand nicht eine Friedenspflicht oder Schlichtungsvereinbarung durchbricht. Er muss stets das „letzte Mittel“ sein. Beim Eilverfahren liegen die Hürden für den Arbeitgeber stets hoch. Eine Untersagung ist nur möglich, wenn der Streik offensichtlich rechtswidrig oder unverhältnismäßig wäre. Dabei nimmt das Gericht Beeinträchtigungen Dritter in Kauf – bei Streiks im öffentlichen Dienst oder im Verkehr lägen sie in der Natur der Sache, so die gängige Haltung. Auch die wirtschaftliche Überforderung des bestreikten Unternehmens ist da eher kein Hinderungsgrund.
Doch darf sich auch GDL-Chef Weselsky seiner Erfolgsserie vor Gericht nicht allzu sicher sein. Denn die Bahnführung zweifelt die Tariffähigkeit der Gewerkschaft an, weil führende Funktionäre 2023 die Leiharbeiter-Genossenschaft Fair Train gegründet haben. Durch die personellen und organisatorischen Verflechtungen in den Führungspositionen von GDL und Fair Train sei die Gewerkschaft nunmehr zugleich auch Arbeitgeber und habe quasi mit sich selbst einen Tarifvertrag geschlossen – damit sei die sogenannte Gegnerunabhängigkeit der GDL nicht mehr gewahrt. Deswegen hat die Bahn eine Feststellungsklage vor dem hessischen Landesarbeitsgericht eingereicht.
Kritische Verflechtungen von GDL und Fair Train
Am Dienstagabend wies das LAG auf seinen „nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab im Eilverfahren“ hin – danach liege eine offensichtliche Tarifunfähigkeit nicht vor. Geklärt ist die Frage nicht. Dem Gericht sind die Verflechtungen von GDL und Fair Train sehr wohl kritisch aufgefallen. Doch muss darüber in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden, zumal es sich um eine in Deutschland bisher einmalige Rechtsfrage handelt. Daher ist eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wahrscheinlich; bis zur Rechtskraft einer Entscheidung sollte diese Tarifrunde somit längst beendet sein.
Verkehrsminister Wissing drängt Konfliktparteien zu Verhandlungen
Appell
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat die Vertreter von GDL und Deutscher Bahn „dringend“ zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgerufen. „Es muss ein Weg gefunden werden, mit dem beide Seiten zurechtkommen. Dazu muss miteinander gesprochen werden“, sagte er der „Bild“-Zeitung. In einer Demokratie sei es nötig, Argumente auszutauschen, anstatt Menschen „durch Stillstand“ zu blockieren. „Die Tarifautonomie entbindet niemanden von dieser gesellschaftlichen Verantwortung.“
Schlichtung
Der verkehrspolitische Sprecher der FDP im Landtag, Christian Jung, fordert „sofort eine Schlichtung“. Diese sei in schwierigen Zeiten immer besser als lange Streiks. Allerdings weist GDL-Chef Weselsky eine Vermittlung seit Beginn des Konflikts zurück.