Meolie Jauch vom MTV Stuttgart ist gleich in ihrem ersten Jahr bei den Seniorinnen für die WM in Antwerpen nominiert worden. Die Vorfreude ist riesig bei der 16-Jährigen – aber es steht auch eine Menge auf dem Spiel.
Im Leben einer Sportlerin gibt es ja immer wieder das, was man als einen Wow-Moment beschreiben kann. Bei Turnerinnen stellt sich ein solches Gefühl meist in einer Halle ein, auf einer Matte, nach einer gelungen Übung, einem gestandenen Abgang oder wenn es bei der Siegerehrung eine Medaille um den Hals gibt. Auch Meolie Jauch hatte kürzlich einen solchen Moment des puren Glücks – aber: in einem Auto.
Es war der Moment, als der Bundestrainer Gerben Wiersma in einer kleinen Videorunde das Aufgebot für die am Samstag beginnende Turn-WM in Antwerpen bekannt gab – und der Coach der deutschen Frauenriege Meolie Jauchs Namen nannte. „Ich habe“, sagt die 16-Jährige, „Freudentränen geweint.“ Weil es alles andere als selbstverständlich war, dass die Turnerin vom MTV Stuttgart ihr WM-Debüt bei den Erwachsenen wird feiern können.
„Das stand schon auf der Kippe“, sagt auch Robert Mai, der Meolie Jauch am Stützpunkt in Stuttgart betreut, „es ist schließlich nicht einfach, mit nur einem oder zwei Geräten in das Team zu kommen.“ Doch mehr war in den vergangenen Wochen und Monaten für die junge Turnerin nicht möglich.
Rückenprobleme machen Meolie Jauch schon länger zu schaffen. Im Frühjahr war sie beim DTB-Pokal in Stuttgart zwar noch dabei, danach veränderte sich ihr Trainingsprogramm allerdings. Es gab längere Pausen, viel Physiotherapie, jede Menge spezielles Training zur Stärkung des Rückens. Die Teilnahme an der EM in Antalya musste Meolie Jauch sausen lassen. „Da war ich schon deprimiert“, erinnert sie sich, „und ich hätte damals nie geglaubt, dass ich es in diesem Jahr noch zur WM schaffen kann.“
Doch beim Unternehmen, sich trotz aller Schwierigkeiten einen Kaderplatz zu sichern, half Meolie Jauch sich selbst. Beziehungsweise: ihre besondere Einstellung. „Meolie ist grundsätzlich immer sehr motiviert, will immer nach vorne, will immer mehr, will viel erreichen“, sagt Robert Mai, „diesen Charakterzug hat sie schon immer gehabt, das sticht bei ihr wirklich heraus.“ Damit machte sie in den vergangenen Wochen Teile ihres Trainingsrückstandes wieder wett. Andererseits stellte sie ihren Trainer auch vor eine besondere Aufgabe. „Wir waren eher gefragt, sie auch mal zu bremsen statt zu pushen, und stets den richtigen Grad der Belastung zu finden“, sagt Robert Mai. Der Plan ist aufgegangen.
Immer motiviert, immer nach vorne
Auch, weil Trainer und Turnerin schnell entschieden, sich auf nur zwei Geräte zu konzentrieren, den Sprung und den Stufenbarren. Bei der WM kann es gut sein, dass sie sogar nur an einem Gerät turnt. Aber: Das ist ohnehin ihre Paradedisziplin. „Am Stufenbarren“, weiß Robert Mai, „ist sie eine der Besten.“ Was auch deshalb von besonderer Bedeutung für das deutsche Turnteam ist, weil in Antwerpen eine fehlt, für die das ebenso gilt – und die in den vergangenen Jahren auch Meolie Jauch mit ihrer Klasse inspiriert hat. Elisabeth Seitz, die 25-malige deutsche Meisterin und Barren-Europameisterin von 2022, hat sich kürzlich die Achillessehne gerissen.
Das vorübergehende Aus der 29-Jährigen „ist schon sehr bitter“, sagt Mai. Und auch Meolie Jauch meint: „Als Eli sich verletzt hat, waren wir alle schon sehr bedrückt.“ Nun aber will vor allem die junge Athletin aus Schönaich den Frust und das Mitgefühl in Motivation umwandeln: „Ich turne in Antwerpen für Deutschland, für Eli und für mich.“ Die Aufgabe könnte damit kaum größer sein. Vor allem, seit klar ist, dass auch Emma Malewski fehlen wird. Die Europameisterin am Schwebebalken von 2022 zog sich im Training in Antwerpen einen Riss des Syndesmosebandes zu und muss operiert werden.
Doch für die deutschen Riegen steht viel auf dem Spiel in Belgien. In den Qualifikationswettkämpfen mit dem Team gilt es jeweils, das Olympiaticket zu sichern. Ein Platz unter den besten zwölf Nationen ist dafür notwendig. Die Männer des Deutschen Turner-Bundes (DTB) gehen gleich am Samstag an die Geräte, die Frauen am frühen Montagabend. Klappt es nicht mit der Qualifikation, ist auch für Seitz der Traum von ihren vierten Spielen geplatzt, ehe sich überhaupt entscheidet, ob sie rechtzeitig fit werden kann.
Die Übung am Stufenbarren sitzt
Zumindest am Stufenbarren könnte Meolie Jauch das Fehlen ihres Vorbildes ausgleichen. Am liebsten würde die 16-Jährige daher ihre Übung noch etwas schwieriger machen, den Ausgangswert damit erhöhen. „Das Risiko ist aber zu groß“, bremst sie sich, „und meine Übung mit einem Ausgangswert von 5,7 Punkten kann ich quasi im Schlaf.“ Sie soll sie stabil turnen und damit wichtige Punkte ins Gesamtergebnis des Teams einbringen. Damit sei sie „ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft“, betont Mai.
Da Elisabeth Seitz verletzt fehlt und Kim Bui im vergangenen Jahre ihre Karriere beendet hat, ist Meolie Jauch in Antwerpen die einzige Turnierin vom Stützpunkt in Stuttgart. „Ich fühle mich trotzdem sehr wohl in der Mannschaft“, sagt der Teenager. Für Paris 2024 ist dann neben Seitz auch Helen Kevric eine Stuttgarter Kandidatin, die 15-Jährige rückt im kommenden Jahr zu den Frauen auf. Aber auch für sie gilt: Olympia wird nur ein Thema, wenn das aktuelle Team am Montag in Antwerpen das Ticket löst.
Mit Meolie Jauch – die auf ihren nächsten Wow-Moment hofft.
Das deutsche WM-Team
Frauen
Sarah Voss (TZ DSHS Köln), Pauline Schäfer-Betz (KTV Chemnitz), Meolie Jauch (MTV Stuttgart), Karina Schönmaier (TuS Chemnitz-Altendorf) und Lea Quaas (TuS Chemnitz-Altendorf). Ersatzturnerin ist Anna-Lena König (KRK Karlsuhe).
Männer
Andreas Toba (TK Hannover), Nils Dunkel (SV Halle), Lukas Dauser (TSV Unterhaching), Pascal Brendel (KTV Wetzlar) und Lucas Kochan (SC Cottbus). Ersatzturner ist Nick Klessing (SV Halle).