Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erkennt derzeit keine Anzeichen für einen Transplantations-Tourismus nach Deutschland Foto: Ebner

Die Zahl der Organspender hat sich nach den Skandalen um Manipulationen bei der Vergabe noch nicht erholt. Im ersten Quartal 2014 ist sie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent auf 287 zurückgegangen. „Mich erschüttert der Rückgang“, sagt Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

Die Zahl der Organspender hat sich nach den Skandalen um Manipulationen bei der Vergabe noch nicht erholt. Im ersten Quartal 2014 ist sie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent auf 287 zurückgegangen. „Mich erschüttert der Rückgang“, sagt Gesundheitsminister Hermann Gröhe.
 
Stuttgart - Herr Gröhe, Krankenkassen können nun einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben. Wie gerecht sind die eigentlich? Schließlich werden die Zusatzbeiträge allein von den Versicherten bezahlt, nicht von den Arbeitgebern.
Die Menschen in Deutschland brauchen beides: die Sicherheit, im Falle von Krankheit eine gute medizinische Versorgung zu erhalten, und sichere Arbeitsplätze. Wir haben uns deshalb entschlossen, an der Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags festzuhalten. Nicht als Selbstzweck, sondern weil wir damit eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt befördern. Mehr Arbeit heißt auch mehr Beiträge. Damit sichern wir die Grundlage unseres solidarischen Gesundheitswesens. Klar ist auch: Die Beiträge dürfen nicht ins Uferlose steigen. Das verpflichtet uns zur Sparsamkeit.
Gibt es eine Schmerzgrenze, bei deren Überschreiten auch der Arbeitgeberanteil wieder ansteigen müsste?
20 Millionen Versicherte sind Mitglied einer Krankenkasse, die im nächsten Jahr mit einem niedrigeren Beitrag auskommen und ihre Mitglieder entlasten könnte. Angesichts dieser Finanzlage halte ich nichts davon, über steigende Lohnnebenkosten zu reden. Das würde ohne jede Not Verunsicherung in den Mittelstand tragen.
Die von den Kassen frei festzulegenden Zusatzbeiträge sollen zu mehr Wettbewerb führen. Aber ist es sinnvoll, den Kassenwettbewerb über den Preis zu führen?
Die Menschen suchen doch keineswegs den billigen Jakob unter den Kassen. Es wirbt auch keine einzige Kasse mit diesem Argument. Im Gegenteil: Letztlich werden immer vor allem die Leistungen und der Service entscheiden – die Qualität des Angebots eben.
Was auffällt: Der alte Glaubensstreit um die Bürgerversicherung und das Ende der Privaten Krankenversicherung ruht. Wird es in dieser Wahlperiode Schritte geben, die Durchlässigkeit zwischen beiden Systemen zu vergrößern?
Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versicherung hat sich bewährt. Beide Säulen stehen vor eigenen Herausforderungen. Die müssen angegangen werden. Es besteht aber kein Anlass, unser bewährtes System infrage zu stellen.
Auch nicht solche, die den Wechsel aus der PKV für bestimmte Kreise einfacher machen?
Wer sich als junger gesunder Mensch bewusst dafür entscheidet, in die PKV zu gehen, weil dort die Beiträge günstiger sind, kann im Alter nicht die Forderung aufstellen, in die dann preiswertere gesetzliche Versicherung zurückzuwechseln. Das ist eine Rosinenpickerei, die wir nicht fördern werden.
An diesem Samstag ist der Tag der Organspende. Sie werben vehement für eine steigende Bereitschaft zur Organspende. Besteht bei all dem Trommelfeuer zugunsten der Organspende nicht die Gefahr, dass moralischer Druck auf – zumal ältere – Menschen ausgeübt wird, sich für die Organspende zu entscheiden?
Mich erschüttert der Rückgang der Organspenden. Klar ist aber auch: Im Mittelpunkt muss die eigene, freie Entscheidung stehen. Niemand darf unter Druck gesetzt werden. Deshalb kann man auf dem Organspendeausweis übrigens auch „Nein“ ankreuzen. Die Organspende nach dem Tod ist ein Geschenk aus Liebe zum Leben, das man nur freiwillig machen sollte. Wir wollen erreichen, dass die Menschen sich nach ausführlicher Information entscheiden – so oder so. Noch nie hatten so viele Menschen einen Organspende-Ausweis wie heute. Das ist gut. Wir dürfen in unseren Anstrengungen aber nicht nachlassen. Deswegen starten wir jetzt eine neue Informationskampagne.
Manche Bürger sind verunsichert, weil es ein Spannungsverhältnis von Organspende-Bereitschaft und Patientenverfügung gibt. Viele wollen keine künstlich lebensverlängernden Maßnahmen. Die sind aber in einem gewissen Umfang für die Organspende erforderlich.
Das zeigt, wie wichtig es ist, offen über diese Themen zu sprechen – mit der Familie, aber auch mit Ärzten. Das gilt für die Patientenverfügung, aber auch für den Organspende-Ausweis. Genauso wichtig ist es, dass die Menschen zum Beispiel im Kreis ihrer Familie eine Vorsorge-Vollmacht ausstellen, damit ein Vertrauter im äußersten Fall helfen kann, eine Verfügung zu interpretieren.
Sind 48 Transplantationszentren nicht zu viel, weil so ein zusätzlicher Wettlauf entsteht?
Wir haben jetzt eine engmaschige Überprüfung aller Zentren. In diesem Jahr werden Untersuchungsberichte zu den Leber-, Nieren- und Herztransplantationsprogrammen vorliegen. Diese Berichte werden wir uns sehr genau ansehen. Wir haben auch aus den Skandalen des Jahres 2012 wichtige Konsequenzen gezogen: In jeder Entnahmeklinik muss es jetzt einen Transplantationsbeauftragten geben, außerdem wurde ein Straftatbestand für die Manipulation von Patientendaten eingeführt, und über die Aufnahme auf die Warteliste entscheidet eine Transplantationskonferenz, der mindestens drei Ärzte angehören müssen. Zudem ist im Transplantationsgesetz festgelegt, dass die Hirntod-Feststellung von zwei Ärzten unabhängig voneinander getroffen werden muss, die nicht am Transplantationsgeschehen beteiligt sind. All das stärkt die Transparenz und die Qualität.
Eurotransplant hat die sogenannte Fünf-Prozent-Regel aufgegeben, wonach nur fünf Prozent der Organe an Patienten gehen sollen, die nicht aus einem der Mitgliedsländer von Eurotransplant kommen. Das sollte einem Transplantations-Tourismus entgegenwirken. Muss der Gesetzgeber diese neue Unklarheit regeln?
Im Rahmen der internationalen Solidarität ist Deutschland ein Empfängerland von gespendeten Organen. Das sollten wir sehr genau bedenken. Ich warne deshalb vor nationalistischen Tönen. Zumal von einem Transplantations-Tourismus nach Deutschland nicht die Rede sein kann. Ob jemand ein Organ erhält, muss anhand objektiver Kriterien und medizinischer Notwendigkeit entschieden werden. Das ist das Entscheidende, nicht der Pass desjenigen, dessen Leben wir retten. Ich rate von einer populistischen Debatte nach dem Motto „Organe nur für Landeskinder“ dringend ab.
Patientenverbände beklagen, dass es ganz unklar ist, auf welchem Wege Entscheidungen rechtlich überprüft werden können, ob bei Verwaltungs-, Sozial- oder Landgerichten.
Die Organvergabe ist im Transplantationsgesetz geregelt. Durch dieses Gesetz wurden eigens Prüfungs- und Überwachungskommissionen eingerichtet, die gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden der Länder sicherstellen, dass die Regeln zur Organvergabe eingehalten werden. Gibt es den Verdacht, dass ein Regelverstoß vorliegt, wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Auch der Patient selbst kann einen solchen Verdacht melden oder Anzeige erstatten. Außerdem wurde von den Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Bundesärztekammer eine Vertrauensstelle eingerichtet, an die sich Patienten auch anonym wenden können.