Im Norden Aleppos räumen die Menschen die Trümmer beiseite. Foto: AFP

Die Kämpfe in Syrien machen auch nicht vor Krankenhäusern halt. Zivilisten in Aleppo leiden besonders. Viele Hilfsgüter können nicht aus der Luft abgeworfen werden. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen fordert daher dringend eine Waffenruhe.

Aleppo - Den Menschen in Aleppo fehlt es an allem. Evita Mouawad koordiniert die Hilfe für Ärzte ohne Grenzen. Viele Hilfsgüter können nicht aus der Luft abgeworfen werden, sagt sie. Eine Feuerpause sei notwendig.

Wie ist momentan die Lage in Aleppo? Was berichten Ihre Partner vor Ort?
Die Situation ist extrem schwierig. Die Ärzte, mit denen wir täglich telefonieren, sagen uns, dass Medikamente und Verbandsmaterial zur Neige gehen und sie nicht mehr wissen, wie sie noch weiterarbeiten sollen. Tag für Tag werden wegen der wahllosen und permanenten Bombardements von Wohnvierteln bis zu 50 Verwundete neu eingeliefert, was eine sehr hohe Zahl ist. Allein im Juli wurden vier von uns unterstützte Krankenhäuser beschädigt. Manche Hospitäler wurden bereits drei- oder viermal angegriffen. Es ist sehr schwierig, Baumaterial aufzutreiben und die Gebäude zu reparieren. Ein wichtiges Kraftwerk wurde ebenfalls zerstört, so dass es im Osten Aleppos nur noch für sehr kurze Zeiten Strom gibt. Es fehlt an Trinkwasser, weil die meisten Pumpen nicht mehr funktionieren.
Wie viele Ärzte praktizieren noch im Osten Aleppos?
Nach Angaben der lokalen Gesundheitsverwaltung sind es noch 35 Mediziner für etwa 250 000 Bewohner.
Nach der Blockade der Castello-Straße im Norden Aleppos durch Regimetruppen haben die Aufständischen im Südwesten einen neuen Korridor freigekämpft. Kann dieser für Hilfslieferungen genutzt werden?
Nur in einem sehr geringen Maße. Der neue Korridor ist nach wie vor heftig umkämpft. Die Lage hat sich nicht wirklich verbessert, weil Konvois ihn nicht sicher passieren können. Nur einige wenige Lastwagen mit Gemüse und Obst konnten bisher durchkommen, aber abgesehen davon geht gar nichts. Das gilt auch für Medikamente. Bislang haben wir unsere acht Krankenhäuser und drei Erste-Hilfe-Zentren alle drei Monate beliefert. Der letzte Konvoi aus zehn Lastwagen war Ende April vor Ort. Ende Juli zum Zeitpunkt der nächsten Lieferung war Ost-Aleppo dann umzingelt.

Vor allem junge Männer haben Angst

Was halten Sie von dem russischen Vorschlag, humanitäre Korridore für die Zivilbevölkerung zu öffnen?
Wir prüfen jede Möglichkeit, der Zivilbevölkerung zu helfen. Unsere Gewährsleute vor Ort aber sagen uns, dass diese Korridore nicht genutzt werden. Die Menschen haben Angst, weil alle diese Ausgänge auf dem Territorium des Regimes enden. Das gilt vor allem für junge Männer, die fürchten, verhaftet zu werden.
Es gibt viel Kritik an der Untätigkeit des Westens. Was kann Europa tun, um das Leiden der Eingeschlossenen in Aleppo zu lindern?
Das Wichtigste ist ein konstanter, internationaler Druck auf alle Konfliktparteien, die Gewalt zu unterbrechen, um Hilfslieferungen zu ermöglichen. Die Kriegsparteien müssen aufhören, Krankenhäuser und zivile Infrastruktur zu bombardieren. Als ersten Schritt brauchen wir zumindest einen Waffenstillstand von 48 Stunden, damit humanitäre Organisationen wieder Zugang zu der Stadt bekommen können. Den russische Vorschlag einer dreistündigen, täglichen Feuerpause halten wir daher nicht für ausreichend.

Bei Arzneimitteln ist Vorsicht geboten

Die deutsche Regierung hat vorgeschlagen, Hilfsgüter für Aleppo aus der Luft abzuwerfen. Ist das eine realistische Möglichkeit?
Das ist durchaus machbar, es wurde auch schon gemacht. Allerdings gibt es gewisse Einschränkungen. Werden Lebensmittel abgeworfen, lässt sich eine gerechte Verteilung unter der Bevölkerung oft nicht garantieren. Ärztliche Hilfsgüter wiederum sind teilweise zerbrechlich und empfindlich. Arzneien müssen bei einer bestimmten Temperatur aufbewahrt werden. Lebensmittel abzuwerfen, das geht. Bei Arzneimitteln ist das im Grunde nicht möglich.