Der Stuttgarter Ballettgründer John Cranko beim Pausenschmauch Foto: Gundel Kilian

Ballettchef Reid Anderson feiert in Stuttgart 20 Jahre Intendanz. Der SWR schenkt zum Jubiläum eine aufwendige Dokumentation, die tolle Bilder von gestern mit den Superhelden von heute verknüpft.

Stuttgart - Popcorn mümmelnd in weichen Kinosesseln: Dass die Ensemblemitglieder des Stuttgarter Balletts bei der Eröffnung der Festwoche zur 20-jährigen Intendanz von Reid Anderson einmal keine Hochleistung auf der Bühne erbringen müssen, sondern die Ursprünge und das Ergebnis ihrer Arbeit ganz entspannt aus der Zuschauerperspektive genießen können, ist dem SWR zu verdanken. Initiiert von Joachim Lang und mit Harold Woerzel als Regisseur hat der Sender die Arbeit der Kompanie 13 Monate lang mit der Kamera begleitet und den Dokumentarfilm „Von Wundern und Superhelden – 55 Jahre Stuttgarter Ballett“ produziert.

Als Auftakt der Festwoche luden Anderson und sein Team daher nicht ins Opernhaus, sondern ins Kino Metropol. Dort hatte der 90-minütige Film am Freitagabend Premiere. Im Publikum saß fast die gesamt Kompanie. Nachdem Tamas Detrich, Andersons jetziger Stellvertreter und designierter Nachfolger, dem Boss seine Referenz erwiesen hatte, ergriff Kulturstaatssekretärin Petra Olschowski das Wort. Bis in die Details kenntnisreich und warmherzig würdigte sie Andersons Wirken. 95 Uraufführungen habe er als Intendant in Auftrag gegeben, viele Talente zu Tänzerpersönlichkeiten erblühen lassen. Zuletzt dankte Olschowski dem Ballettchef ausdrücklich für seine Beharrlichkeit in puncto Neubau für die John-Cranko-Schule.

Georgette Tsinguirides bekommt Extrabeifall

Noch vor dem Filmstart bekannte Anderson, die Dokumentation eigne sich bestens für alle Neuzugänge in Schule und Kompanie. Denn sie verknüpfe das Heute so anschaulich mit dem Gestern, dass sich begreifen ließe, wie sehr Crankos Geist die Kunst und das Miteinander der Stuttgarter Ballettfamilie noch immer bestimme. Tatsächlich hat das Filmteam aus den Archiven eindrückliche Belege von Crankos herzgetriebenem Schaffen und Wirken gefischt. Zwischen diese Rückblenden sind Interviews mit Ersten Solisten gesetzt, Proben im Ballettsaal, aus der Gasse gefilmte Aufführungen und Beobachtungen auf Tournee. Zu Wort kommen zudem Choreografen wie Hans van Manen, William Forsythe oder John Neumeier und Zeitzeugen wie Birgit Keil und Vladimir Klos. Sonderapplaus erhielt die Szene mit Stuttgarts Choreologin Georgette Tsinguirides. Ihre Karriere begann vor 71 Jahren und hat die Zeit überdauert.

Aus all diesen filmischen Mosaikstücken entsteht ein Bild, das mitteilt: Zum Erfolg gelangte und gelangt das Stuttgarter Ballett mit Herz und Enthusiasmus. So entwaffnend wie Cranko vor rund 50 Jahren auf Reporterfragen antworteten, so uneitel erzählt nun die mit Theaterschminke betupfte Alicia Amatriain von ihrem Leben.

Und doch fehlen dem Mosaik einige Farben: So wird etwa Hauschoreograf Marco Goecke lediglich in einem Nebensatz genannt. Und weil die Superheldin Sue Jin Kang zur Drehzeit in Südkorea war, wird sie fast vergessen. Doch es bleibt ein Trost: Was die Zuschauer an diesem Abend zu sehen bekommen, so hatte Regisseur Woerzel zuvor betont, wird nicht das Ende sein.

Info: Im Programm des SWR-Fernsehen ist der Film am 20. Juli um 23:40 Uhr zu sehen.