Auch sie selbst hat ihren leiblichen Vater erst spät kennengelernt: Susanne Panter. Foto: picture alliance/dpa/Frank Rumpenhorst

Welche Gene trage ich? Weiß mein Vater, dass es mich gibt? Die Herkunftsermittlerin Susanne Panter hat 4500 Menschen geholfen, ihre Angehörigen zu finden. Wie ihr das gelingt und warum einander unbekannte Geschwister oft dieselben Farben tragen.

Herkunftsberaterin oder Menschenfinderin – so nennt sich Susanne Panter. Sie sucht für ihre Klienten nach unbekannten Vätern, verlorenen Müttern und Geschwistern. Ein Gespräch über vererbte Klamottenvorlieben und Traumata, warum Familie einem Pilzgeflecht gleicht, und ob es ein Recht auf Geheimnisse gibt.

 

Frau Panter, erzählen Sie bitte von Ihrem letzten Fall?

Ein Mann, Jahrgang 1967, kam zu mir. Er hatte kürzlich erfahren, dass sein Vater nicht sein Vater ist. Von seinem leiblichen Vater kannte er den Nachnamen und den Arbeitgeber in Dänemark. Die Suche war schwierig, weil die Firma mehrfach verkauft wurde. Aber am Ende wussten wir, dass der Vater gestorben war und hatten den Namen der Witwe. Ich habe ihm geraten, die Dame nicht sofort zu kontaktieren, sondern erst seine Halbgeschwister zu suchen.

Warum?

Für die betagte Frau hätte es sehr schmerzhaft sein können, vom Seitensprung ihres Mannes zu erfahren. Hätte sie den Kontakt abgelehnt, wäre es zu Ende gewesen. Mit der jüngeren Generation ist es oft einfacher. Wir fanden zwei Halbschwestern in der Schweiz. Mein Klient hat sich mit ihnen in Baden-Baden getroffen. Es war sehr harmonisch. Die beiden erzählten, dass sie sich schon immer einen Bruder gewünscht haben. Und die drei trugen dieselben Sachen.

Wie das?

Also Hosen und Hemden hatten dieselben Farben. Das erlebe ich oft. Plötzlich sitzen sich Geschwister im schwarzen Rollkragenpulli gegenüber. Oder der verschollene Vater war Architekt und der Sohn ist es auch. Auch in diesem Fall war es so: Der Sohn arbeitete in derselben Branche wie sein leiblicher Vater. Manchmal denke ich: Familie ist wie das Wurzelgeflecht von Pilzen, die unterirdisch verbunden sind, auch wenn sie weit voneinander entfernt sprießen.

Wie wurden Sie zu einer, die die geheimen Verbindungen dieses Wurzelgeflechts ausfindig macht?

Das Leben hat sich so geformt. Ich wollte mit Ende 20 ein Treffen meiner alten Kinderladen-Gruppe organisieren. Ich dachte: Da gibt es sicher Leute, die dabei helfen, ehemalige Kindergarten- oder Klassenkameraden zu suchen. Aber das gab es nicht. Also hab ich diese Lücke gefüllt. Ich wollte ursprünglich Klassentreffen für andere organisieren. Aber ich bekam immer öfter Anfragen, ob ich verschollene Familienangehörige finden könnte. Vor allem unbekannte Mütter und Väter.

Warum ist es wichtig für Menschen, die leiblichen Eltern zu kennen?

Eine blinde Frau suchte zum Beispiel ihren leiblichen Vater, weil sie wissen wollte, ob sie eine Erbkrankheit hat, die sie weitergeben kann. Die Menschen wollen wissen, welche Gene sie tragen, wo die Silberfäden der DNA hinführen. Es geht um die Suche nach Identität: Woher komme ich? Hat der Vater je über mich gesprochen? Weiß er, dass es mich gibt? Viele haben Symptome. Dass ist, wie wenn es irgendwo im Körper zwickt. Dann wollen Sie ja auch wissen, woher das kommt.

Was können solche Symptome sein?

Viele Klienten berichten, dass sie gespürt haben, dass es verschwiegene Menschen im Familiensystem gibt. Manchmal werden Andeutungen gemacht. Eine Frau bekam als Kind einen Arztkoffer von einer Tante geschenkt mit den Worten: ,Du wirst bestimmt Apothekerin.’ Ihr leiblicher Vater, über den nie gesprochen wurde, war Apotheker.

Hat dieses Spüren Nebenwirkungen?

Manche, die zu mir kommen, sind richtig physisch krank. Sie empfehle ich weiter zu zwei Medizinern, die ich kenne. Andere haben zum Beispiel Probleme, Bindungen zu anderen einzugehen. Sie fühlen sich nicht zugehörig. Meinen, nicht zu genügen, sind unzufrieden, von innerer Unruhe getrieben.

In Ihrem Buch erzählen Sie die Geschichte eines Kinder, das ein historisches U-Boot besichtigt und im Inneren eine Panikattacke bekommt. Später stellt sich heraus, dass sein Großvater in einem U-Boot ums Leben kam. Wie ist das zu erklären?

In diesem Bereich ist vieles unerforscht. Aber man weiß, dass Traumata und Verhaltensmuster in Familien unausgesprochen weiter gegeben werden können. Ich selbst beispielsweise hatte eine Panikattacke im kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie. Dort ist es wie in einer Eierbox, die Wände haben eine braune, gewellte Textur, irgendwie erdig. Ich habe es nicht ausgehalten, musste raus. Mein Großvater ist im Krieg verschüttet worden. Ich denke, diese Erfahrung hat sich ihren Weg gebahnt.

Menschen bewahren teils Geheimnisse, weil sie die Angehörigen schützen wollen. Das ist doch liebevoll gemeint.

Total! Familientabus sind oft von Liebe getrieben. Aber das geht leider in die Richtung: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Denen, die schweigen, ist nicht bewusst, was das für Folgen haben kann. Oft stecken auch Selbstschutz oder Scham dahinter, weil man Konventionen gebrochen hat.

Gibt es nicht auch ein Recht auf das Geheimnis derer, die es hüten?

Es gibt auf jeden Fall das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes begründet: Mit der Würde des Menschen und dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Aber ich bin nicht dafür, dass jedes Geheimnis ans Licht gezerrt wird. Kürzlich kam eine Frau zu mir, die den Vater ihrer Schwester suchte. Als ich aber mit der Schwester sprach, merkte ich, dass diese nicht so recht von der Suche überzeugt war. In solchen Fällen ist es besser, dem Geheimnis nicht nachzugehen.

Haben Sie den Geheimnisträgern gegenüber kein schlechtes Gewissen?

Nein, ich bin ja nur die Busfahrerin, die Menschen von A nach B bringt. Einmal musste ich einen Vater posthum vom Sockel stoßen. Die Familie fiel aus allen Wolken, dass er ein uneheliches Kind hatte, er wurde sehr heroisiert. Das tat mir leid, aber die Verantwortung dafür trage nicht ich, sondern er.

Haben Sie einen Fall erlebt, in dem der Klient gesagt hat: ,Hätte ich mal lieber nicht gesucht’?

So direkt nicht. Aber einmal habe ich für eine ganz liebe Frau nach ihrem Vater gesucht. Ich fand einen schlimmen Finger, wirklich gruselig, gewalttätig, er war schon mal im Gefängnis. Er schrieb mir einen bitterbösen Brief und wollte keinen Kontakt. Da frage ich mich, wie die Frau damit umgeht. Vielleicht hätte es ihr geholfen zu recherchieren, wie der Vater wurde, was er ist.

Ist es nicht gefährlich, an allem, was schief läuft, der Familie und ihren Verkorksungen die Schuld zu geben?

Man darf die Verantwortung nicht abgeben! Wenn Dinge ans Licht kommen, sollte man daran arbeiten. Das tun die meisten, die zu mir kommen. Manche haben allerdings ein Heilsversprechen im Gepäck, sie denken ,Wenn ich die Mutter finde, löst sich alles auf und wird gut‘. Es ist dann meine Aufgabe, solche Erwartungen zurechtzurücken.

Wie erleben Sie es: Sind die Gefundenen offen für den Familienanschluss?

Es gibt verschiedene Typen: Da sind die Skeptiker, die sich das erst einmal kritisch ansehen. Dann die Überschwänglichen, die den unverhofft aufgetauchten Bruder oder Sohn sofort in ihre Familie integrieren wollen. Und dann natürlich die, die keinen Kontakt wollen – manchmal gar nicht aus Bosheit, sondern, weil sie sich selbst als unzumutbar für die Angehörigen empfinden. Das erlebe ich zum Beispiel bei Müttern, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben haben.

Haben Sie durch Ihre Arbeit auch Dinge über Ihre Familie gelernt?

Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich diese Arbeit vor allem aufgrund meiner eigenen Biografie mache. Ich wurde durch die Scheidung meiner Eltern früh von meinem leiblichen Vater getrennt, den ich erst mit 18 richtig kennenlernte. Vor einem Jahr habe ich dann herausgefunden, dass auch meine Großmutter darunter litt, nicht zu wissen, wer ihr Vater war. Sie war eine sehr labile Frau, nahm sich später das Leben. Meine Arbeit ist ein Auftrag der Oma an mich.

Haben Sie nach dem Urgroßvater gesucht?

Ja, er war wohl der Gutsherr, bei dem meine Urgroßmutter arbeitete. Ich kenne seinen Namen und den der Familie in Russland. Aber ich habe noch keinen Kontakt aufgenommen. Ich bin noch nicht soweit.

Susanne Panter löst seit mehr als 20 Jahren Geheimnisse

Werdegang
Susanne Panter, Jahrgang 1967, ist ausgebildete Mediatorin und hilft seit mehr als 20 Jahren dabei, Familienangehörige zu suchen. Mit ihrem privaten Personensuchdienst hat sie bisher rund 4500 Einzelschicksale betreut. Von 2016 bis 2022 begleitete der SWR ihre Arbeit in der Reihe „Die Aufspürerin“. Nun hat sie ein Buch darüber geschrieben, wie man Familiengeheimnisse und -wunden erkennt und Heilung findet: Susanne Panter: „Ich spüre das, was ihr nicht sagt“. Kösel Verlag, 20 Euro.

Arbeit
Um verschollene oder unbekannte Familienmitglieder zu finden, arbeitet Susanne Panter wie Ahnenforscher und recherchiert unter anderem bei Standes- und Meldeämtern und in Archiven. Die Suche kann zwischen wenigen Wochen und mehreren Monaten dauern. Ist ein Angehöriger gefunden, bietet Susanne Panter an, den ersten Kontakt herzustellen. Sie versteht sich als Beraterin und Begleiterin. Weil ihre Dienste schnell ein paar Tausend Euro kosten können, hat Susanne Panter nun vor, freier Träger zu werden. Sie findet: „Es darf nicht vom Geldbeutel abhängen, ob jemand, der adoptiert wurde, nach seinen leiblichen Eltern suchen kann. Das müsste – zumindest in Teilen – öffentlich finanziert sein.“