Humor in der Krise: An den Standorten der US-Armee in Stuttgart und der Region herrschen strenge Corona-Regeln. Die Mitarbeiter und ihre Angehörigen tragen sie mit Disziplin und Fassung. Foto: factum/Andreas Weise

In Baden-Württemberg gilt von Montag an eine Maskenpflicht beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr. An den Standorten der US-Armee sind die Schutzmaßnahmen weitaus strenger.

Böblingen - Besser bewacht war ein Supermarkteingang wohl selten zuvor. Wer das große Einkaufszentrum auf dem Gelände der Böblinger Panzerkaserne betreten will, muss dem kritischen Blick von Elitesoldat Justin Nyce standhalten. Der US-Marine steht in Uniform am Eingang und prüft, ob sich die Kunden an einer mobilen Waschstation die Hände reinigen und desinfizieren. Außerdem müssen sie hier schon seit Wochen Atemschutz tragen, noch lange bevor drum herum, also in Deutschland, ähnliches geplant worden ist.

„Es gibt keine Probleme, die Leute sind sehr respektvoll“, sagt Nyce, der hier fünf Stunden lang einen Dienst verrichtet, der auch für ihn ungewohnt ist – und salutiert. Einen der vermummten Kunden hat er als ranghohen Militär erkannt. Das Wichtigste für viele hier sei, dass es der Familie auch in der Heimat gut gehe. „Beide Länder tun, was sie können“, sagt der Marine diplomatisch, als er auf die Coronasituation in Deutschland und den USA angesprochen wird.

Sicher ist zumindest: Die Aussage gilt hundertprozentig für das Gelände der fünf US-Army-Standorte in Stuttgart und Böblingen. Zu Beginn der Krise gab es dort schnell mehrere Dutzend Coronafälle, US-Armeemedien berichteten von der Garnison Stuttgart als am meisten betroffenen Standort außerhalb der USA. Die Schritte, die folgten, waren radikal, und gehen weit über das hinaus, was in Deutschland gilt. „Unsere Maßnahmen sind überall mindestens die des Gastgeberlandes – und strenger“, sagt Garnisonssprecher Rick Scavetta. Aktuelle Zahlen nenne man nicht mehr, sondern tausche sie nur mit den örtlichen Behörden aus, mit denen man in engem Kontakt stehe. Nur soviel: Die scharfen Gegenmaßnahmen tragen Früchte. „Die Leute verstehen das“, sagt Scavetta, „nur so können wir den Kampf gegen das Virus gewinnen.“

Alle sind in drei Gruppen eingeteilt

Das bedeutet, dass für die rund 28 000 militärischen und zivilen Beschäftigten samt ihren Familien im Raum Stuttgart nichts mehr so ist wie vor der Krise. In den Kelley Barracks in Möhringen, den Vaihinger Patch Barracks, den Robinson Barracks in Zuffenhausen, der Böblinger Panzerkaserne sowie auf dem Stuttgart Army Airfield in Echterdingen herrschen Regeln, die so manchen Bundesbürger frösteln lassen würden.

Natürlich sind Schulen, Kindergärten und viele andere Einrichtungen geschlossen. Selbstverständlich gelten auch hier Abstandsregeln und die Vorgabe, mit maximal einer anderen Person unterwegs zu sein. Restaurants sind dicht, Foodtrucks als Ersatz aufgestellt. Doch das ist nicht alles. In Büros, Supermärkten und überall sonst, wo man sich zu nahe kommen könnte, gilt schon länger Maskenpflicht. Die Armeeangehörigen sind in drei Gruppen eingeteilt – blau, weiß und rot wie das Sternenbanner, die Flagge der USA. Abwechselnd dürfen sie tageweise bestimmte Dinge tun – zum Beispiel einkaufen gehen. Drei Tage lang ist jede Gruppe dran, dann muss sie zehn Tage warten. Eine App und diverse Armeemedien informieren darüber, wer was an welchem Tag darf. „Die Leute halten sich sehr diszipliniert daran“, sagt Scavetta. Kein Wunder bei Armeeangehörigen. Eine breite Öffentlichkeit hätte damit sicher mehr Schwierigkeiten.

An diesem Tag ist die rote Gruppe dran. Wobei: Man spricht von Teams. Das soll den Gemeinschaftsgedanken fördern und funktioniert offenbar auch. Es gibt T-Shirts und andere Souvenirs in jeder der drei Farben. In den großen Supermarkt werden nur 35 Menschen gleichzeitig eingelassen. Die Kunden stehen artig in einer langen Schlange. Für jeden wird ein Einkaufswagen frisch gereinigt und zur Verfügung gestellt.

Geschäfte werden jeden Tag mehrfach desinfiziert

„Wir desinfizieren den Laden jeden Tag mehrfach – alles, womit Kunden und Mitarbeiter in Berührung kommen könnten“, sagt Supermarktmanager Thomas Angeli. Zum Beispiel die aufgebauten Laptops in der Technikabteilung. Jede zweite Kasse ist geschlossen, damit genug Abstand herrscht. „Wir dürfen nichts riskieren. Wir spielen die zentrale Versorgungsrolle, weil sich viele Amerikaner, die kein Deutsch sprechen, draußen schwer tun mit dem Einkaufen“, weiß Angeli.

Auch die Mitarbeiter sind in Teams eingeteilt, die sich untereinander nicht sehen dürfen. Michael Cook gehört zu Team 2. Der junge Mann mit deutsch-amerikanischen Eltern studiert eigentlich auf dem Gelände Sportmedizin und Ernährungswissenschaften. Jetzt jobbt er im Supermarkt, die Prüfungen finden online statt. „Ich habe eine Oma in Thüringen sowie Großeltern und eine Uroma in Florida“, erzählt er. Die deutsche Oma sei traurig, dass die Familie sie nicht mehr besuchen dürfe. Und die Verwandten in Florida müssen mit besonders strengen Regeln leben, weil es dort viele ältere Menschen gibt. „Das ist eine harte Situation für alle“, sagt der Student.

Nur in wenigen Bereichen versucht die Garnison, ein Stück Normalität aufrecht zu erhalten. „Unser Trainingsareal ist in Betrieb. Die Soldaten müssen bereit sein“, sagt Sprecher Scavetta. Doch auch hierbei gibt es strenge Regeln. Die vielen Verwaltungsmitarbeiter an den Standorten arbeiten von zu Hause, wo immer das möglich ist. Wer überhaupt aufs Gelände will, wird an der Einfahrt nach seinem Gesundheitszustand befragt und muss wissen, wohin er sich im Krankheitsfall wenden soll – nämlich an die Klinik in den Patch Barracks, wo es auch ein Testzentrum gibt, in das man mit dem Auto fahren kann. Wer ernsthaft erkrankt, wird dann an ein deutsches Krankenhaus überstellt. Jeder, der Symptome zeigt, kommt sofort in Quarantäne – das gilt auch für alle, die aus anderen Ländern an den Stützpunkten ankommen. Viele Freiwillige kümmern sich um sie oder nähen kostenlos Masken.

Ansprachen des Kommandeurs mit Kultstatus

Das kleine Team für die Öffentlichkeitsarbeit ist aufgestockt worden und versorgt die Armeeangehörigen praktisch rund um die Uhr mit Informationen aus Deutschland und den USA. Und auch der Garnisonskommandeur selbst hält die Seinen auf dem Laufenden. Jede Woche meldet sich Oberst Jason W. Condrey, oft mehrfach, per Livestream zu Wort. Tausende schauen zu, nicht nur in der Region Stuttgart. Die Videoübertragungen haben inzwischen einen gewissen Kultstatus erreicht. Es kursieren sogar Bingokarten. Verwendet Condrey in seinen Ansprachen Begriffe wie „Covid“, „hand washing“ oder „social distance“, können sie auf den Karten markiert werden. Ein kleines Spielchen, um in der Krise bei Laune zu bleiben.

Zwei Dinge vermissen viele Armeeangehörige allerdings besonders: den Friseur und das Vaihinger Corso-Kino, das Filme auf Englisch zeigt. Zumindest bei den Friseurläden an den Standorten besteht Hoffnung – sie dürfen am 4. Mai unter Auflagen wieder öffnen. Mit Tumulten ist trotz der ungewohnten Ausmaße der Army-Haartracht nicht zu rechnen – Männer wie Justin Nyce sorgen dafür, dass Disziplin herrscht.

Die US-Garnison Stuttgart

Die US-Garnison Stuttgart mit ihren fünf Standorten gehört zu den wichtigsten Einrichtungen der US-Armee außerhalb der Vereinigten Staaten.

In den Vaihinger Patch Barracks sitzt unter anderem das US European Command (Eucom), das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa. Die Kelley Barracks in Möhringen beherbergen das Afrika-Kommando Africom.

Die Standorte sind größtenteils frühere Kasernen der deutschen Wehrmacht.