Dirigierte die Symphoniker: Christoph Eschenbach Foto: dpa

Klassikkonzert, Live-Übertragung, After-Concert-Party: Ein Experiment der Stuttgarter Symphoniker soll junges Publikum zur Klassik locken.

Stuttgart - Klassik ist für alle da. Also: Machet die Tore weit! Das sagt sich leicht, ist aber extrem heikel. Wie viel von der Verfeinerung, von der diese Kunst lebt, darf man um ihrer Vermarktung und Popularisierung willen aufgeben? Und wann ist vielleicht doch nicht mehr der Fall, was Goethes Theaterdirektor im „Faust“ behauptet: dass erlaubt sei, was allen gefällt?

Die Stuttgarter Symphoniker, ein (so nennt man das) „Telefon-Orchester“, das sich hauptsächlich aus Musikern der großen Stuttgarter Orchester zusammensetzt, haben am Freitag das Konzertformat „Klassik.Plus“ ins Leben gerufen: Zuhörer konnten zwischen einem Konzertbesuch im Beethovensaal, der Live-Übertragung ins Cinemaxx-Kino nebenan und einem Livestream im Internet wählen. Nach dem Konzert legte ein DJ zur After-Concert-Party auf, und wer „glaubhaft versichern“ konnte, noch nie in einem klassischen Konzert gewesen zu sein, bekam das Ticket sogar umsonst.

Wer im Konzert auf Beifall zwischen den Sätzen wartete, hatte sich allerdings getäuscht: Das Publikum dort bestand weiterhin zum größten Teil aus Menschen zwischen 40 und 70, und die wussten sogar um den Brauch, dass ein Solist nach einem Konzert gerne noch Zugaben ohne Orchester vorträgt. Dabei hat Christopher Parks Spiel den langen Applaus eigentlich nicht gerechtfertigt, denn der 27-Jährige gab Rachmaninows zweites Klavierkonzert zwar technisch einwandfrei, aber sehr direkt und ohne größere klangfarbliche Raffinesse.

Das mag auch am holprigen, eindeutig nicht ausreichend geprobten Zusammenspiel mit einem Orchester gelegen haben, das demonstrierte, wie im schlimmsten Fall ein fusionierter Klangkörper klingen kann: An den entscheidenden Nahtstellen des Werks funktionierte die Kommunikation überhaupt nicht, und so einigte man sich im Zweifelsfall auf sichere (oft fast schleppend langsame) Tempi und grobschlächtige dynamische Kontraste.

Zweiter Programmteil im Kino, als „Konzerterlebnis mit Popcorn-Feeling“ (Homepage). Dort saßen etwa 20 Menschen im Konzertgänger-Alter und sahen zu Tschaikowskys fünfter Sinfonie nicht nur das nun deutlich besser koordinierte Orchester und seinen Dirigenten Christoph Eschenbach, sondern auch Filmbilder von Wolken, der Freiheitsstatue, Surfern im Mittelmeer, Neuschwanstein und sogar ein bisschen Stuttgart. Hier ist Tschaikowsky tatsächlich noch nie gewesen, aber die beliebige Bild-Ton-Kombi sollte wohl ohnehin nur eines sagen: Klassik ist schön.

Das ist oft richtig, trifft aber gerade nicht den Kern von Kunst, die immer auch nicht schön sein will und muss. Mit Projekten wie diesen, die in den Verkauf eines Events mehr Zeit und Geld stecken als in die künstlerische Arbeit, mag man den Zugang zur Klassik erleichtern. Man muss allerdings aufpassen, dass sich die Kunst selbst nicht klammheimlich durch die geöffneten Türen davonmacht.