Strick gilt wieder als chic. Anleitungen gibt es im Internet – sogar samt Übersetzungsbuch für englische Strickbegriffe. Foto: dpa

Stricken ist angesagt, das Oma-Image Vergangenheit. Aus Stuttgart mischen 300 Handarbeitswütige in einer Internet-Community mit.

S-Mitte - „Knit fast, die warm“, strick’ schnell, stirb warm. Den kleinen Button mit dem schwarzen Humor trägt Angelika Tabery am Revers. Am späten Nachmittag trifft sie im Restaurant des Kaufhauses Karstadt ein. Sie kommt direkt von der Arbeit, packt ihre Nadeln aus und legt los: rechts, links, rechts, links. Um den Tisch sitzen schon sechs andere Strickerinnen. Es könnte gemütlicher hier sein. Das Selbstbedienungsrestaurant hat Kantinencharme, aber schließlich ist es auch dafür konzipiert, dass hier hungrige Kunden schnell etwas zu sich nehmen können.

Die Frauen vom Stuttgarter Stricktreff jedoch verbringen hier Stunden. Jede Woche. Das Kaufhaus liegt verkehrsgünstig. Das ist wichtig, weil einige von ihnen aus der Region sind und der Bahnhof gleich vor der Tür liegt. Hier können sie ungestört ihrer gemeinsamen Passion nachgehen: Masche für Masche von der Nadel heben und sehen, wie ihr Projekt Reihe um Reihe wächst. Mühsam, aber lustvoll ist das.

Stricken ist wieder angesagt. Das Oma-Image ist Vergangenheit. Das zeigt schon die Präsenz der Strickerinnen im Internet. Aus der ganzen Welt kommen sie in der Community www.ravelry.com zusammen, und so haben sich auch die Stuttgarterinnen gefunden. Aus Stuttgart mischen geschätzte 300 Handarbeitswütige in der Community mit.

Die anspruchsvolleren Arbeiten bleiben zuhause

Auch Sabine Jetter vom Stricktreff präsentiert dort mit Fotos und Kommentaren ihre Projekte und hat darauf sogar kürzlich eine Reaktion aus Seoul erhalten. „Meine Socken haben dort einem Mitglied gefallen“, erzählt sie stolz. Auch Kerstin Eisenmann hat mit einem quietschbunten Schal im Ausland Aufsehen erregt. Ein Fan aus Island hat sich über die Community bei ihr gemeldet. Im Karstadt-Restaurant treffen sie sich nicht virtuell, sondern ganz real immer am Mittwochnachmittag. Manchmal sind nur eine Handvoll Frauen da, manchmal sind es auch mehr als 20. Und hin und wieder ist sogar ein strickender Mann dabei. Start ist um 14.30 Uhr. Das Ende diktiert der Ladenschluss. Wer Zeit hat, kommt. Früher oder später , wie es passt. Nur eines ist zwingend: das Strickzeug.

„Muster würde ich hier nicht stricken, denn wenn man sich unterhält, ist schnell ein Fehler gemacht“, sagt Kerstin Eisenmann. Die anspruchsvolleren Arbeiten bleiben also zuhause. Andererseits schreckt Margit Keuerleber nicht davor zurück, eine ganze Decke, an der sie gerade arbeitet, zum Treff mitzuschleppen. Mehrere Sofadecken in Uni, Gestreift oder Patchwork hat sie schon Masche für Masche produziert. Das Glanzstück ist eine für Kinder, die sie aus gestrickten Puzzleteilen zusammengenäht hat. „Ich decke gerade die ganze Familie mit Decken ein“, sagt sie.

Stricken ist für die Anwesenden nicht nur gesellig. Es sei geradezu therapeutisch, findet Katja Meier. Margit Keuerleber pflichtet ihr bei: „Wenn einen was bedrückt, kann man es einfach wegstricken.“ Und dazu bildet es auch noch, denn die Konversation in der Internet-Community findet auf Englisch statt. Zuerst habe sie sich mit ihrem Schulenglisch etwas gescheut, gibt Sabine Jetter zu. Aber mit der Zeit hat sie ihren Wortschatz erweitert und schüttelt die englischen Fachbegriffe wie purl stitch (linke Masche), garter stitch (kraus rechts), yarnover (Umschlag) oder cable (Zopf) aus dem Ärmel. Dabei hilft ein englisch-deutsches Strickwörterbuch, das es ebenfalls im Internet gibt.

Das Internet spielt eine große Rolle

„Wenn ich nachsehen will, wie zum Beispiel ein Zopfmuster gemacht wird, schaue ich bei Youtube nach. Da wird jeder Schritt erklärt“, sagt Margit Keuerleber. „Sobald man Mitglied in der Community ist, hängt man erst einmal häufig vor dem Computer“, sagt Kerstin Eisenmann und lächelt. „Es gibt dort so viel zu entdecken. Man kann dort jede Anleitung finden.“ Das Internet spielt bei allen Strickerinnen am Tisch eine große Rolle: „Wir sind da richtig vernetzt“, freut sich Margit Keuerleber.

Auch die Wolle bestellen sie dort, sie sind aber auch schon zusammen zu den angesagten Wollefachgeschäften in der Region gefahren. In der Nähe von Tübingen, so erzählen sie begeistert, sind handgefärbte Garne zu haben. In Zeiten der Billigkonfektion ist das Stricken von Kleidung keineswegs preisgünstig. „Aber so kann ich etwas Individuelles schaffen, das immer noch bezahlbar ist“, sagt Angelika Tabery und nadelt an ihrem Schultertuch weiter.