Tomislav Stipic: Der Trainer setzt bei den Blauen neue Akzente. Foto: Baumann

Tomislav Stipic hat mit sich und Fußball-Drittligist Stuttgarter Kickers viel vor: „Ich will ein großer Trainer werden und Spuren hinterlassen“, sagt der Trainer vor seinem ersten Punktspiel mit den Blauen an diesem Samstag (14 Uhr) beim Halleschen FC.

Herr Stipic, haben Sie heute morgen schon Ihre obligatorische Jogging-Runde gedreht?
Die drehe ich ausnahmsweise erst am frühen Abend. Am Vormittag habe ich mit meinem Co-Trainer unseren Einstand gegeben und die Geschäftsstellenmitarbeitern zu einem Weißwurstfrühstück eingeladen.
Haben Sie eine Rede gehalten?
Meine Assistenten und ich haben das gleiche gesagt wie zur Mannschaft. Wir haben aktuell zwei Gegner: Das ist die Zeit, die wir nicht haben. Und das ist der Kopf: Die Quelle der Selbstbegrenzung. In dieser schwierigen Zeit sollten wir trotzdem Erfolgserlebnisse erzielen.
Was gegen zwei Regionalligisten gelang.
Wir haben 1899 Hoffenheim II mit 3:1 und den FC Homburg mit 5:0 besiegt. Wir hatten acht verschiedene Torschützen, alle Spieler kamen zum Einsatz und konnten sich losgelöst von irgendeinem Druck positionieren und entfalten.

„Natürlich ist der Druck da“

Bei ersten Punktspiel ist der Druck aber da.
Natürlich ist der Druck da. Wir sehen die kommenden fünf Spiele als Paket und wollen vor der Winterpause über dem Strich stehen, um neue Kräfte zu sammeln.
Wie packen Sie es an?
Wir haben der Mannschaft Vertrauen geschenkt und an den Basics gearbeitet, ohne die vielen guten Dinge in Frage zu stellen. Unseren Fokus haben wir darauf gelegt, den Spielern unsere Bibel an die Hand zu geben.
Die Bibel?
Fünf Kernbotschaften für unsere Spielidee, die uns Stabilität und Flexibiliät geben werden.
Die da wären?
Erstens: Wie verhalten wir uns, wenn der Gegner den Ball hat. Zweitens: Wo geht’s hin mit der Kugel, wenn wir den Ball erobern. Drittens: Wie bauen wir von hinten heraus auf. Viertens: Wie verhalten wir uns im Moment des Ballverlustes. Und Fünftens: Wie verhalten wir uns bei Standardsituationen.
Im bisherigen Saisonverlauf drängte sich der Verdacht auf, die Balance zwischen Offensive und Defensive stimmt nicht.
In den Testspielen habe ich es ähnlich gesehen. Man kann nicht angreifen ohne eine Restverteidigung zu haben. Das heißt, man muss bei Ballverlust genügend Spieler hinter den Ball bekommen. Dies ist einer der Punkte, die wir korrigieren. Wir müssen den Gedanken verinnerlichen, dass alle Spieler angreifen und verteidigen. Dem Stabilitätsspieler, der den Rhythmus bestimmt, kommt eine Schlüsselposition zu.

„Enzo Marchese kann nicht alles machen“

In Bestform war Enzo Marchese dafür der richtige Mann. Ist der Kapitän bei Ihnen genauso wie bei Ihrem Vorgängen gesetzt?
Er bleibt definitiv ein wichtiger Mann und auch unser Kapitän. Aber er kann nicht alles machen: Einwürfe, Eckbälle, Spielaufbau, Pressen – das ist zu viel.
Er braucht Entlastung.
Das will ich damit sagen. Qualität in sein Handeln und Tun kommt nur, wenn er etwas von seinen Aufgaben abgibt. Nur dann kann Enzo echt sein. Dafür muss die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden, von allen Spielern müssen Akzente kommen.
Auf wen setzen Sie im Tor?
Ein wichtiges Thema, das ich bis zu diesem Mittwochabend verdrängen werde. Dann setze ich mich mit meinem Trainerteam zusammen und entscheide. Langfristig will ich eine klare Nummer eins, das bringt Ruhe in die Mannschaft.
Neu in Ihrem Trainerteam ist ihr Assistent Marcel Hagmann.
Darüber bin ich sehr froh. Er ist ein intelligenter und interessanter Mensch. Er ist kein Ja-Sager, er bringt Klarheit in meine Bauchentscheidungen. Als Profi sammelte er Erfahrung unter Trainern wie Thorsten Fink, Michael Wiesinger oder Markus Weinzierl.
Warum reichte es bei Ihnen nicht zum Profi?
Ich habe in der Jugend in den höchsten Ligen und in den Auswahlmannschaften gespielt. In der U 19 gab es ein Schlüsselerlebnis: Ich habe Trainingsinhalte kritisch hinterfragt. Irgendwann sagte der Trainer zu mir: Du bist mir zu lästig, du kannst deinen Pass holen. Und wissen Sie was?
Bitte!
Ich bin im Nachhinein dankbar darüber, dass ich kein Profi wurde. Ein Profi verlangt, er nimmt, er investiert in sich, er ist eine eigene Marke, er bekommt Pflege. Als Trainer ist man selbstloser Geber. Man muss Menschlichkeit geben, Fachwissen geben, man muss führen und steuern.
Und das alles haben Sie sich angeeignet . . .
. . . indem ich zwischen meinem 25. und 35. Lebensjahr sehr viel in meine Weiterbildung, Führung und Fachwissen investiert habe. Als Trainer steckt man ständig in der Ausbildung und man darf nie aufhören, an sich zu arbeiten. Ich will ein großer Trainer werden und Spuren hinterlassen.

„Ich habe in mein Ego investiert“

Sie haben auf dem Bau gearbeitet. Später schoben Sie jahrelang von 22 Uhr bis 6 Uhr Nachtschichten bei Audi und trainierten parallel dazu den Nachwuchs des FC Ingolstadt. Wie sehr hat Sie diese Zeit geprägt?
Ich kam vier bis fünf Jahre lang auf oft nicht mehr als auf drei Stunden Schlaf pro Tag. Ich habe in mein Ego investiert und keine Bindung zu meinen Kindern aufgebaut. Meine Frau hat mir dabei den Rücken frei gehalten. Sie ist eine Kämpferin und altmodisch erzogen. Sie will alles machen: kochen, bügeln, putzen, rasenmähen, erziehen.
Dennoch wollten Sie nach dem Abstieg mit Erzgebirge Aue eine Pause einlegen.
Ja. Ich hatte die Überzeugung gewonnen, dass es der richtige Schritt ist. Wir sind dann das erste Mal nach sechs Jahren in den Urlaub geflogen. Es war einfach an der Zeit, meiner Familie etwas zurückzugeben.
Bis der Anruf von den Kickers kam.
Ich habe schnell gemerkt, dass dieser Verein mit seinen Werten und Leitbildern zu mir passt. In diesem familiären Umfeld kann ich reifen und besser werden und möchte die in mich gesetzten Erwartungen erfüllen.
Die Kabine haben Sie gleicht umbauen lassen.
Man hat immer Erwartungen an einen Raum. In einem WC erwartet man Klopapier und eine Klobürste. In einem Physiotherapieraum eine Liege. Und in einer Kabine keine Trennwände, hinter der sich die Spieler verschanzen können. Ich möchte den Spielern etwas geben, dazu muss ich jedem in die Auge sehen können.