Susanne von Gutzeit, die "erste Geige" im Stuttgarter Kammerorchester Foto: Rainer Pfisterer

Beim Dreikönigskonzert 2013 hat sich die Geigerin Susanne von Gutzeit eindrucksvoll beim Stuttgarter Kammerorchester eingeführt. Heute träumt die Konzertmeisterin davon, dass ihr Ensemble „unabhängig wird von einer Autorität, die vorne steht“.

Stuttgart - „Wir sind auf dem Weg, und der Weg ist gut“: Das klingt bestimmt, fast resolut. Susanne von Gutzeit ist eine Geigerin, die ganz ohne zweifelndes Vibrato spricht – zumindest wenn von dem Ensemble die Rede ist, bei dem sie seit Anfang 2013 so etwas wie den Vorsitz innehat.

Die – für manche immer noch neue – Konzertmeisterin des Stuttgarter Kammerorchesters ist blond, schlank, lebhaft, sehr wach und so selbstbewusst, wie es eine Frau sein darf, die auch andere Formationen mit gutem Grund gern in ihren Reihen gewusst hätten.

In Konzerten spürt man ihren Willen zum Mitgestalten: Er teilt sich durch Blicke mit wie durch die Bewegungen ihres Körpers und ihres Bogens, die man ähnlich von Alte-Musik-Ensembles kennt. Also von selbstbestimmten, selbst organisierten Musiker-Truppen, die vom Konzertmeisterpult aus weniger dirigiert als auf einem gemeinsam festgelegten Weg geleitet werden.

Fragt man Susanne von Gutzeit, ob sie sich derartige Kommunikationsmuster auch für das Stuttgarter Kammerorchester vorstellen kann, dann stößt man auf lebhafte Zustimmung – „obwohl“, wie sie einräumt, „bei den Älteren im Orchester noch stark die Sehnsucht zu spüren ist, dass ihnen einer sagt, wo es langgeht“.

"In einer Phase, wo wir uns ganz neu finden"

Überhaupt befinde sich das Traditions-ensemble zurzeit „in einer Phase, wo wir uns ganz neu finden. Wir sind aufgrund der unterschiedlichen Generationen, Herkunftsländer und Schulen der einzelnen Musiker sehr heterogen zusammengesetzt, aber allmählich setzt eine Flexibilität sogar in den Köpfen der Musiker ein, die noch unter Karl Münchinger gespielt haben.“ Das sei ein „spannender Prozess“ – und ein notwendiger, denn „wir können, wenn wir beim alten Denken bleiben, nicht konkurrieren mit freischaffenden Ensembles, in denen jeder weiß, wenn er nicht alles gibt, ist die Truppe bald weg vom Fenster.“

Genau so müsse sich das Kammerorchester ebenfalls engagieren – „trotz unserer festen Stellen und trotz der paradiesischen Sicherheit, aus der heraus wir agieren, denn das ist eine Scheinsicherheit. Wenn keiner das Orchester mehr hören will, dann nützen uns unsere festen Stellen auch nichts.“

Es ist auch ihre eigene, tief verwurzelte Sehnsucht nach Freiheit und nach selbstbestimmtem Handeln, die da aus der Konzertmeisterin spricht. Nachdem Susanne von Gutzeit in einer Großfamilie von ihrem Vater, dem späteren Hochschul-Rektor in Linz und Salzburg, an die Musik herangeführt worden war, unterrichtete ihr Lehrer sie streng nach der Tradition der russischen Schule, die stark auf virtuoses Kräftemessen und auf Wettbewerbserfolge ausgerichtet ist: Auf Dauer war das nichts für die junge Geigerin, und so flüchtete sie in die Welt der Kammermusik.

Von der Geige befreite sie sich später mit Hilfe der Bratsche – auch hier mit unmittelbarem Erfolg. „Die Bratsche“, sagt sie, „hat mich mit ihren dunklen Klängen beruhigt und tat mir seelisch so gut. Oben in der Höhe ist die Luft immer so dünn.“

Später ist sie zu ihrem ersten Instrument zurückgekehrt – nicht ohne immer wieder mit tieferen Streichinstrumenten zu liebäugeln. Erst mit dem Cello, das auch ihre Schwester spielt, und zuletzt sogar ein bisschen mit dem Kontrabass.

Auch von der Neuen Musik, auf die sie sich vor allem sechs Jahre lang als Mitglied des Österreichischen Ensembles für Neue Musik konzentrierte, wandte sich Susanne von Gutzeit ab, „weil meine Seele wieder gefüttert werden wollte“. „Ich habe sehr viel gelernt“, sagt sie immerhin über diese Zeit, die „für den Kopf ganz toll“ war, und: „Heute habe ich vor nichts mehr Angst.“

Das Streichquartett doch der Kern aller Musik

Die prägendste Erfahrung aber war und ist das Ensemble, zu dem sie, die sich selbst als „Herzens-Österreicherin“ bezeichnet, in Salzburg gefunden hat: Das Hagen-Quartett lehrte sie Demut, Vertiefung und Präzision, Musik ganz jenseits aller „Hochglanz-Geigerei“. Eigentlich, sagt die Geigerin, habe sie erst da, „bei meinen Messiassen“, begonnen, „Musik wirklich heiß und innig zu lieben“. Und überhaupt sei das Streichquartett doch der Kern aller Musik. Auf ihr fuße die Sinfonik, die Kammermusik; ja sogar eine Mozart-Oper sei letztlich doch nur aus dem vierstimmigen Satz heraus komponiert.

Und ein Kammerorchester? Das, so Susanne von Gutzeit, sei im Idealfall nichts anderes als ein vergrößertes Streichquartett – mit dem sympathischen Unterschied, dass man sich in einem größeren Ensemble einfach besser aus dem Weg gehen könne, „wenn sich mal etwas reibt“. Frei nach Walter Levin, dem langjährigen Primarius des LaSalle-Quartetts, könnte man dessen berühmt gewordenes Bonmot über das Streichquartett also ausweiten und sagen: Ein Kammerorchester ist wie eine Ehe zu siebzehnt – nur ohne die beruhigende Wirkung des Sex.

Dabei wird es immer Situationen geben, in denen der Einzelne nachgibt und hinter die Gruppe zurücktritt. Dann nicht immer gleich zu leiden – das, so die Geigerin, habe sie nach langer Zeit als freiberufliche Musikerin erst einmal lernen müssen, diesen Weg sei sie noch lange nicht zu Ende gegangen, und zum Glück könne sie ihre eigenen Vorstellungen ja bei auswärtigen Projekten einbringen – und bei den Konzerten, die sie vom Konzertmeisterpult aus selbst leitet.

Das ist immer wieder der Fall, und die Flexibilität im Denken, die dadurch entsteht, tut dem Orchester gut. Auch stilistische Vielfalt, da ist sich Susanne von Gutzeit sicher, ist für das Stuttgarter Kammerorchester das Gebot der Stunde. „Wir dürfen nicht nur für den Bach gut sein, wie man ihn zu Münchingers Zeiten gespielt hat und wie man ihn in Japan nach wie vor gerne hört. Wir müssen für alles bereitstehen, was heutige Ohren hören wollen.“ Offenheit und Begeisterungsfähigkeit – das sei in Stuttgart alles schon reichlich vorhanden, „und der Rest kommt noch, da bin ich schrecklich optimistisch.“