Graziano d’Arcangelo in seiner Paraderolle als Hofnarr Luigi im Hofbräu-Zelt Foto: Lg/Julian Rettig

Wenn es einen König gibt, muss es auch einen Hofnarr geben. Graziano d’Arcangelo schlüpft sein 20 Jahren in diese Rolle. Nicht nur auf dem Wasen, auch in Bremen, im Pott und in London. Und wie kann ein Italiener anders heißen? Na klar, Luigi.

Warum sind Italiener so klein? „Weil die Mama gesagt hat, wenn Du groß bist, musst Du schaffen gehen.“ Mit Italiener-Witzen braucht man Graziano d’Arcangelo (60) nicht kommen, da kennt er jeden, wirklich jeden. Von Berufs wegen hat er jedes erdenkliche Klischee verwurstet, sozusagen Salami piccante. Im Fasching in der Bütt, auf Skihütten und auf der Bühne eines Festzelts, immer nach dem Motto: „Menschen beleidigen – aber mit Niveau!“

Willkommen im Wirtschaftswunderland

Wir sitzen beim Frühlingsfest des Mittags im Hofbräu-Zelt. Graziano d’Arcangelo hat sich schon in seine Bühnenfigur verwandelt. Der Hofnarr Luigi trägt Lederhose, Hemd, Sonnenbrille und holländische Holzschuhe, eigenhändig mit Fell überzogen. Noch ist es ruhig, Zeit zu plaudern; Zeit zurückzublicken auf 20 Jahre Bühnenkarriere. Wobei. Das ist zu kurz gegriffen. Eigentlich begann Luigis Karriere im Jahre 1958. Damals kam d’Arcangelo Senior nach Deutschland, angeworben in Pescara, um in Deutschland fürs Wirtschaftswunder zu schaffen. Als Flaschner für den Karosseriebauer Auwärter. „Mein Vater hat mir bis zu seinem Tode die Geschichte erzählt, wie ihn Ernst Auwärter persönlich am Stuttgart Hauptbahnhof abgeholt hat“, sagt Graziano d’Arcangelo, „er hat gesagt: Ich saß im dunklen Mercedes wie ein König.“ Der Vater war einer der ersten italienischen Gastarbeiter in Stuttgart. „Wenn er abends von der Arbeit heimkam und erzählte, haben wir vier Söhne uns immer schiefgelacht, weil er von seinen Missverständnissen berichtete und die deutschen Worte so herrlich falsch benutzte“, erinnert sich Graziano d’Arcangelo.

Viele dieser Beobachtungen nutze er bis heute. „Zum Beispiel wie die Italiener vor 60 Jahren am Hauptbahnhof ankamen, auf den Fahrplan schauten, lasen: Freudenstadt, Gaildorf, Poppenweiler.  Und sich sagten, tolles Land, hier bleiben wir!“ Fürs Bierzelt ist das zu lang, zu komplex. Da passt schon eher der Scherz, den er am Fasching gerne bringt. „ Ich bin kein Mann für eine Nacht“, beteuert er mit italienischem Akzent, „nach zwei Minuten ist Schluss.“

Immer die erste Stimme

Man ahnt schon, der Mann ist eine Rampensau, für ihn hat man das schwäbische Bonmot erfunden, „wenn der mol stirbt, no musch d’ Gosch extra totschlage!“ Mit sechs Jahren sang er die erste Stimme im Kinderchor, wenn in der Klasse einer singen sollte, habe es immer geheißen: Grazi, geh Du voran. Gärtner lernte er, wollte Gartenbautechnik studieren. Doch da kam Werner Find alias Sloggy dazwischen. Stadionsprecher beim VfB, Zampano der Zigeunerinsel, Betreiber etwa der Boa oder vom Cactus in Leonberg. „Da, da, da“ im Cactus, traten sogar Trio auf. Der junge Graziano war Stammgast. Und wurde von Find gefragt, ob er nicht arbeiten wolle. Also leerte er Aschenbecher, putzte, schenkte aus, bediente und stand an der Tür.

Als Baron wiedergeboren

Die Gastro ließ ihn nicht mehr los. In Möhringen eröffnete er mit seiner Frau das Café Point, mit ihm selbst als Attraktion. Er sang und strippte sogar, „aus Blödsinn“, wie er sagt, „dafür bin ich immer zu haben“. Seine Scheidung kostete ihn das Café und viel Geld. In einem tiefen Loch saß er da, bekennt er. Mit seiner Band „Friends of Music“ spielte er sich heraus. 1999 suchte Find für die Zigeunerinsel einen Baron für die Milleniumskampagne. Baron Graziano I. war geboren; der italienische Schwabe Luigi stand in der Bütt und verarbeitete all die Erfahrungen, die der Papa so gemacht hatte.

Verheerende Kritik

Auch Hofbräu-Wirt Hans-Peter Grandl ist in der Zigeunerinsel. Er fragte, ob Luigi, wenn die Band Pause mache, nicht das Publikum im Zelt unterhalten wolle? Luigi wollte. Sang sein Italia-Medley und „Hey Baby“. Wie Jack Sparrow habe er damals ausgesehen, erinnert sich d’Arcangelo, eher Pirat denn Hofnarr. Nach dem ersten Auftritt 2003 setzte man sich zusammen, Toningenieur Falk Gruber und Grandl waren deutlich. „Nach unten ist nicht mehr viel Luft“, lautete die Kritik.

Knochen auf der Bühne

„Ich hatte vom Bierzelt nicht viel Ahnung“, sagt d’Arcangelo. Da flogen schon mal die Überreste der Schweinshaxen und Hähnchenknochen auf die Bühne. Er musste schnell lernen. Und er lernte schnell. „Du musst das Publikum in den ersten 30 Sekunden auf Deiner Seite haben“ – sonst fliegen die Knochen. Der Witz muss selbst mit drei Maß im Kopf noch zünden, der Refrain mitgrölbar sein. „Bunga, Bunga, Bungalow“ eben, Luigis Hit. Die Leute gewöhnten sich an den Pausenclown, als Grandl immer öfter als König vom Wasen tituliert wurde, kamen die beiden beim Rumblödeln auf die Idee, jeder König brauche doch einen Hofnarr. Der Hofnarr Luigi war geboren.

Ab nach London

Mittlerweile ist er seine eigene Marke. Und rund ums Jahr beschäftigt. Fasching, Après-Ski, Feste überall in Deutschland, der italienische Schwabe ist ein Exportschlager. Der es bis nach London geschafft hat. Beim Winter Wonderland im Hyde Park steht er sechs Wochen auf der Bühne im Bavarian Village, im bayerischen Dorf. Bier, Lederhosen, Schlager, es lebe Good Old Germany, es lebe das Klischee. Der Engländer unterscheidet sich wenig vom Stuttgarter, Bremer, Düsseldorfer oder wen sonst Hofnarr Luigi mit seinen Liedern und Sprüchen unterhält. Der Londoner flippt regelmäßig aus zu „Leev Marie“, einem Karnevalssong der Kölner Band Paveier, erzählt d’Arcangelo.

Ob sie verstehen, was sie da singen? Eher nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Die Leute sollen ihren Spaß haben, „ich urteile nicht, ich erhebe mich über niemanden“, sagt Luigi, „ich unterhalte die Menschen.“

Also denn. Noch ein Witz gefällig? Luigi grinst und erzählt: „Eine Ente schwimmt auf dem Fluss herum und heult: „Ich weiß nicht, wer ich bin, ich weiß nicht, was ich bin.” Das hört ein Krokodil und sagt: „Gelber Schnabel, Federn und Schwimmhäute, Du bist eine Ente.“ Die Ente jubiliert und fragt dann: „Aber was bist denn du?” Das Krokodil sagt: Rate mal!“ Die Ente antwortet, „Kurze Beine, große Klappe, Lederjacke? Du bist Italiener.”