Claudius Desanti berät Firmen mit seiner in Stuttgart ansässigen Agentur für queeres Marketing und entwickelt Kampagnen mit und ohne Regenbogen. Foto: /SÍSÍ-Agentur

Zum CSD erstrahlt Stuttgart in den Farben des Regenbogens. Ist das Engagement echt? Oder wollen Firmen nur ihr Image aufbessern? Wir sprachen mit Claudius Desanti, dem Experten für queeres Marketing, über Pinkwashing, Fettnäpfchen für Firmen und OB Frank Nopper.

Von Daimler bis Bosch, von Puma bis Primark – in diesen Tagen lieben’s die großen Konzerne bunt, färben ihre Logos und inszenieren sich auch sonst gern in Pink. Der Einzelhandel in Stuttgart stimmt farbenfreudig mit ein und dekoriert zur CSD-Parade am kommenden Samstag seine Schaufenster mit der Leuchtkraft des Regenbogens. Vor etlichen Firmensitzen sind die Fahnen der Vielfalt gehisst. Ist diese Farbenpracht ein Zeichen dafür, dass die Anliegen der queeren Community mitten in der Gesellschaft angekommen sind? Oder nur ein Beweis, dass der CSD zum Geschäft geworden ist? Claudius Desanti, LGBTQ-Aktivist mit dem Internetprojekt „Sissy That Talk“ und Geschäftsführer einer bundesweit renommierten Agentur für queeres Marketing, rät dazu, ganz genau hinzuschauen. Regenbogen-Logos auf Produkten reichten nicht!

„Nopper muss zeigen, ob er es ernst meint und nicht nur Hände schüttelt“

Als Beispiel nennt er den Stuttgarter OB Frank Nopper. „Gerade schüttelt der CDU-Politiker auf vielen Events der Community Hände“, sagt Desanti, „sehr bald schon muss sich zeigen, ob er die Bedürfnisse und Wünsche der queeren Bevölkerung auch in seiner Arbeit aufnimmt und etwa die Forderung nach einem Regenbogenhaus unterstützt.“ Als Pinkwashing wird die Strategie bezeichnet, sich angeblich mit der Regenbogen-Bewegung zu identifizieren, um dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken, während es in Wahrheit vor allem um Gewinnmaximierung oder Wählerstimmen geht.

Liegt Pinkwashing nicht auch bei der Bundesregierung vor, die nur für einen Tag die Regenbogenfahne am Bundestag gehisst hat? Der Stuttgarter Chef der Agentur SÍSÍ und Betreiber des Portals „Sissy that Talk“ sieht’s in diesem Fall anders. Über die Beflaggung in der Hauptstadt habe er sich gefreut, „weil es ein klares Bekenntnis mit internationaler Strahlkraft für Vielfalt und die Akzeptanz queerer Menschen durch unser höchstes Verfassungsorgan war“. Der Koalitionsvertrag sehe unter anderem Selbstbestimmungsrecht für trans* Menschen und einen Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit vor. „Wichtig ist also nicht, wie lange die Regenbogenflagge auf dem Bundestag weht, sondern wie lange es dauert, bis die queerpolitischen Gesetzesvorhaben umgesetzt sind“, sagt Desanti.

„Bei etlichen Kampagnen gibt es Verbesserungspotenzial“

Genau dies, so rät der Aktivist, sollte man auch bei Unternehmen prüfen. Die Nutzung des Regenbogens müsse, um glaubhaft zu sein, „mit ganzjähriger Unterstützung für die Community“ einhergehen, fordert Claudius Desanti: „Die Firmen sollten als Arbeitgeber ein sicheres Umfeld bieten, in dem queere Mitarbeitende sich frei entfalten können.“ Wichtig sei auch, Pride-Kollektionen, also spezielle Produkte, mit Spenden für LGBTQ-Organisationen zu verbinden. Schlimm findest es der Stuttgarter Diversity-Experte, „wenn Firmen nur den Regenbogen auf ein Produkt klatschen und die ,Pink Dollars’ der Community einnehmen, ohne einen Finger zu krümmen“. Meist sei die Lage aber nicht eindeutig schwarz-weiß, sondern es gebe bei Kampagnen positive Aspekte und Verbesserungspotenzial – „sozusagen die 50 Shades of Pinkwashing“.

„Aufgrund dieser Heuchelei gab es Vorwürfe gegen Mercedes-Benz“

Claudius Desanti nennt ein Beispiel für Stuttgart: „Im vergangenen Jahr hat Mercedes-Benz auf Facebook & Co. sein Logo in Regenbogen-Farben eingefärbt – allerdings nur in queerfreundlichen Regionen wie West-Europa und den USA. In Ländern mit queerfeindlicher Gesetzgebung wie Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (dort droht Schwulen sogar die Todesstrafe) blieb der Mercedes-Stern silbern. Aufgrund dieser Heuchelei gab es Pinkwashing-Vorwürfe.“ Für ein globales Unternehmen seien solche Unterschiede „ein schwieriger Spagat“. Besser wäre es gewesen, erklärt der Experte, „das Einfärben des Logos aktiv durch eine Stellungnahme zur Situation des Unternehmens in solchen queerfeindlichen Ländern zu begleiten“.

„63 Prozent trauen sich nicht, sich am Arbeitsplatz zu outen“

Der Regenbogen sollte im LGBTQ-Marketing nur der letzte Schritt sein, sagt Claudius Desanti: „Also quasi die Kirsche auf der LGBTQ-Sahnetorte des Unternehmens.“ Queeres Marketing müsse im Inneren beginnen: 63 Prozent der LGBTQ-Menschen trauten sich immer noch nicht, sich am Arbeitsplatz zu outen. Deshalb seien „klare Bekenntnisse der Unternehmensführung zu Akzeptanz und Diversity, Schulungen zur Sensibilisierung von Angestellten, die Unterstützung von LGBTQ-Mitarbeitenden-Netzwerken und von externen Organisationen“ notwendig.

„Aktivitäten sollten sich nicht auf die CSD-Saison beschränken“

Bei den eigentlichen Marketing-Maßnahmen gehe es darum, das ganze Jahr die Community mit einzuschließen, nicht nur zur CSD-Saison, in dem man etwa den Alltag von Regenbogenfamilien oder gleichgeschlechtliche Paare in Kampagnen zeige. „Bei der Gestaltung von Kampagnen sollten auch LGBTQ-Menschen beteiligt sein, vor und hinter den Kulissen“, erklärt Desanti, „durch die Partizipation verhindert man den Tritt ins Fettnäpfchen und kann Kritik vorbeugen.“

Was hält er von der Premiere der Stuttgarter CDU mit einem eigenen Truck bei der Parade am Samstag? Das sieht der Pinkwashing-Experte kritisch, denn wie „nachhaltig“ diese Botschaft sei, zeige sich erst in der Umsetzung in der Politik. Da habe die CDU in der Vergangenheit oft blockiert, lautet sein Vorwurf. Bei der regierenden Ampelkoalition im Bundestag sieht Desanti dagegen „viele Ansatzpunkte, dass sie queere Anliegen authentisch unterstützt“.