Marijn Rademaker im uraufgeführtem Solo "On Velvet". Foto: Stuttgarter Ballett

Neben Friedemann Vogel ist Marijn Rademaker der international erfolgreichste Solist des Stuttgarter Balletts. Feingliedrig im Körperbau, elegant in der Haltung, gekrönt von hellstem Blond: Der Holländer ist der geborene Ballettprinz.

Neben Friedemann Vogel ist Marijn Rademaker der international erfolgreichste Solist des Stuttgarter Balletts. Feingliedrig im Körperbau, elegant in der Haltung, gekrönt von hellstem Blond: Der Holländer ist der geborene Ballettprinz.

Stuttgart - Draußen scheint die Sonne. Ein guter Tag, um sich mit Marijn Rademaker über Vorurteile zu unterhalten. Als Kind, erinnert sich der holländische Tänzer lachend, habe er geglaubt, Deutschland sei ein Land unter grauem Himmel und voller Fabriken. Beim ersten Urlaub in der Eifel habe er dann entdeckt, dass das alles gar nicht stimme.

Auch die Welt des Balletts ist ein Ort, dem Vorurteile nicht unbekannt sind. Hier herrschen klare Vorstellungen davon, welche Rolle und welcher Tänzer zusammenpassen. Unüblich etwa: Ein Danseur noble wie Marijn Rademaker, der den feurigen Basilio in „Don Quijote“ gibt oder den machohaften Draufgänger Petrucchio in „Der Widerspenstigen Zähmung“.

Warum eigentlich nicht? Das hat sich offensichtlich der Stuttgarter Ballettintendant Reid Anderson gesagt. Und so kommt es, dass sich Marijn Rademaker, Erster Solist des Stuttgarter Balletts und sein blondester Prinz, nun zum zweiten Mal über eine Rolle, die ihm untypisch überantwortet wird, wundern darf. Vor einem Jahr tanzte der Holländer erstmals den Basilio in „Don Quijote“. Nun tritt er in große Stuttgarter Fußspuren und ist Petrucchio.

„Ich war sehr überrascht, dass ich diese Rolle tanzen soll“, freut sich Rademaker und hofft, dem Trunkenbold in Crankos Tanzkomödie eine eigene Farbe zu finden. Ein Typ sei dieser Petrucchio, meint Rademaker, den man leicht unterschätze. „Die Kunst ist, ihn so wirken zu lassen, als ob er besoffen sei und nur seinen Spaß haben will, aber trotzdem muss durchscheinen, dass er ganz genau weiß, wie er Katharina rumkriegen kann.“ Eine Kunst ist es auch, hier die Komik richtig zu dosieren. Sie ergebe sich allein aus dem Bewegungsmaterial, weiß Rademaker: „Versucht man lustig zu sein, macht man alles kaputt.“ Wie gut er die Fäden des Komischen ziehen kann, hat der Tänzer erst vor kurzem in Christian Spucks „Le Grand Pas de deux“ bewiesen. An der Seite von Anna Osadcenko, mit der er sich auch das Rollendebüt in „Der Widerspenstigen Zähmung“ teilt, spielte er einen vom Ehrgeiz getriebenen Ballerino, dem die schusselige Kollegin die Laune verdarb. Jede Menge Lacher gab es dafür, dass das Paar Schritte ebenso präzise platzierte wie komische Gesten.

Weniger ist mehr; das gilt nicht nur für das Komische. Wer Rademaker in einem Ballett seines Landsmanns Hans van Manen erlebt, ahnt, dass es vielleicht ein holländisches Tanzwissen gibt um diese Kunst des Wesentlichen. Sehr präsent seien van Manens Stücke in seiner Heimat, erzählt Rademaker. „Wenn man sie viel sieht, versteht man die Idee dahinter besser.“ Wie Rademaker. Schön zu sehen ist das beim neuen Ballettabend „Fort//Schritt//Macher“ in den „Frank Bridge Variations“. Nicht nur auf der Bühne, auch im Gespräch verrät der Tänzer, was es braucht, um einen van Manen so aussehen zu lassen, wie er aussehen muss: „Wie man geht oder steht, sagt in seinen Stücken schon alles. Der Schwerpunkt des Körpers liegt tief im Boden. Wer den nicht hat, verliert die Geschichte und wird versuchen, das durch Schauspielen auszugleichen.“

Analyse in Bewegungen und Worte fassen

Rademaker hat eine Haltung gegenüber dem Tanz, die der Begriff Demut schön fasst, auch wenn er viel zu schwergewichtig klingt. Er ist keiner, der Rollen einfordert. Nur einmal, erzählt er, habe er Anderson um eine Besetzung gebeten: Den Ali Baba in „Dornröschen“ wollte er tanzen, um sich mal jenseits der Prinzenrolle zu versuchen. Mit Erfolg, wie nun die Sprünge über die Typengrenze zeigen. Aber natürlich ist er ein Tänzer mit Träumen, und Crankos Onegin spielt darin die Hauptrolle.

Bis es soweit ist, beweist Rademaker, wie genial er choreografische Ideen verinnerlichen und das Besondere eines Stils lesbar machen kann. Und er kann seine Analyse in Bewegungen und in Worte fassen. Begeistert erzählt er von seiner ersten Zusammenarbeit mit William Forsythe, der in Stuttgart war, um seinem Stück „Workwithinwork“ den letzten Schliff zu geben. „Seine Bewegungen sind schwierig, weil man als Tänzer immer forschen muss, woher sie kommen“, sagt Rademaker. „Sie beginnen in einem bestimmten Teil des Körpers und laufen wie eine Welle durch den Rest.“

Nach Stuttgart war Rademaker zufällig auf die Empfehlung eines Lehrers gekommen. Nachdem er schon als Kind mit Vorurteilen aufgeräumt hatte, wollte er nach der Ausbildung weg aus Holland. In Antwerpen, Amsterdam und Stuttgart hatte er sich beworben. „Ich kannte das Stuttgarter Ballett überhaupt nicht und habe das damals aus dem Bauch heraus entschieden. Hier zu sein hat sich gut angefühlt, und es fühlt sich immer besser an.“

Der Grund dafür: eine gute Arbeitsatmosphäre, ein schönes Repertoire, viele Uraufführungen. „Die Arbeit in Stuttgart ist spannend und hält einen Tänzer wach. Mir gefällt auch, dass der Schwerpunkt unseres Tuns hier auf der Kunst liegt und nicht auf der Quantität.“ In Holland, erzählt Rademaker, der eine Saison lang als Gast am Het Nationale Ballett in Amsterdam getanzt hat, sei die Kulturfinanzierung ein großes Thema. So konnte ihn Amsterdam nur eine Saison als Gast bezahlen. „Ich finde es immer schön, zu Hause zu tanzen. In Amsterdam habe ich als Kind viel Ballett gesehen und es erfüllt mich mit Stolz, dort selbst zu tanzen.“

Stolz macht den Tänzer auch, wenn er jüngere Kollegen in Rollen sieht, die für ihn entstanden sind und die er mit ihnen erarbeitet hat. „Es macht mir viel Spaß zu sehen, was ein Tänzer braucht, was ihm fehlt. Diese Integrität zu fördern, also neben Technik und Stil auch das Nachdenken über die eigene Arbeit zu pflegen, würde mir über meine eigene Karriere hinaus gefallen“, sagt Rademaker. Momentan freilich hat er genügend an sich selbst zu feilen. Petrucchios Luftsprünge, dreifach gedreht, und die vielen Pirouetten machen ihm Sorge. Ob das alles klappen wird? – Egal! Für einen wie Rademaker, der erkannt hat, dass Virtuosität nicht das Maß der Kunst ist, scheint immer die Ballettsonne, nicht nur in Deutschland.

Am 26. Dezember tanzt Marijn Rademaker erstmals an der Seite von Anna Osadcenko den Petrucchio in John Crankos Ballettkomödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ um 14 Uhr im Stuttgarter Opernhaus. Am 4. Januar ist das Paar nochmals zu sehen. Für beide Vorstellungen gibt es noch Restkarten. Die anderen Vorstellungen, zum Teil auch in anderer Besetzung, sind bereits ausverkauft.