Die Zelte der Stuttgart-21-Gegner im Stuttgarter Schlossgarten haben viel Aufmerksamkeit gebracht. Zu viel für die Stricher - sie sind weitergezogen. Foto: dpa

Polizei: Die Zeltstadt der Stuttgart-21-Gegner hat die Stricher aus dem Schlossgarten vertrieben.

Stuttgart - Wo einst männliche Prostituierte anschaffen gingen, haben sich heute Stuttgart-21-Gegner breitgemacht. Der Straßenstrich ist aus dem Schlossgarten verschwunden, doch die Prostitution hat sich nur verlagert.

Mehr als 250 Männer gehen in der Landeshauptstadt laut den Schätzungen eines Stuttgarter Vereins auf den Strich. Früher finanzierten viele der Stricher mit der Prostitution ihre Drogensucht. „Drogen und Alkohol kommen heute noch vor, sind aber weniger geworden“, hat Silke Grasmann vom Verein zur Förderung von Jugendlichen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten e. V. beobachtet. Heute müssten die Männer aus purer Armut anschaffen gehen.

Der Verein betreut gemeinsam mit der AIDS-Hilfe Stuttgart e.V. junge Männer, die sich in Stuttgart auf der Straße ihr Geld verdienen. Über Streetworker an sie heranzukommen, sei zunehmend schwierig. Der klassische Straßenstrich an der Stuttgarter Staatsgalerie gehöre der Vergangenheit an, viele würden sich über Handy oder Internet verabreden.

Polizei: Zeltstadt hat Stricher vertrieben

Tatsächlich habe das Zeltdorf der Stuttgart-21-Gegner zu viel Aufmerksamkeit in die Gegend des früheren Treffpunkts gebracht, bestätigt der Leiter des Ermittlungsdiensts Prostitution, Wolfgang Hohmann, Grasmanns Eindrücke. Zwar sei die genaue Zahl der Stricher schwer zu sagen, weil es eine hohe Dunkelziffer gebe, so Grasmann. Die Polizei verzeichnet allerdings einen Rückgang.

Seite 2: 80 Prozent der Stricher sind Migranten

80 Prozent der Stricher seien Migranten, die für immer weniger Geld ihren Körper verkaufen müssten. Viele kämen zum Beispiel aus Südost-Europa oder Nordafrika. Es sei nicht leicht, sie zu einem Besuch in der Stuttgarter Anlaufstelle zu bewegen, sagt Grasmann.

„Das kommt einem Outing gleich: Ich gebe vor mir und anderen zu, dass ich anschaffen gehe“, sagt Grasmann. „Wenn man in Kulturkreisen aufwächst, wo ein anderes Männerbild herrscht und wo nicht offen mit Homosexualität umgegangen wird, ist das ein großes Problem.“

Im Café „Strich-Punkt“ in der Altstadt, das der Verein mit der AIDS-Hilfe betreibt, bekämen die jungen Männer eine Auszeit, sie könnten etwas essen oder eine Dusche nehmen. Präventionsarbeit spiele eine große Rolle. „Wir geben den Jungs Tipps für Safer Sex und was sie allgemein noch für ihre Sicherheit beachten müssen.“ In dem Café treffen sich abwechselnd auch weibliche Prostituierte. „Die Lebensschicksale, die dahinter stehen, sind ja oft ähnlich.“

Manchmal wartet zu Hause die Familie

Zu Hoch-Zeiten kamen zehn bis 15 Stricher in die Anlaufstelle. Grasmann schätzt, dass sie in Stuttgart rund ein Drittel der männlichen Prostituierten mit ihrem Angebot erreichen kann. Nicht alle Stricher seien homosexuell, dass zu Hause eine eigene Familie auf sie warte, sei nicht ungewöhnlich. Gewalt spiele auf dem Strich immer eine Rolle, auch untereinander. Denn die Konkurrenz unter den jungen Männern sei groß.

Fast alle Stricher seien unter 30 Jahre alt. „Je besser sie aussehen, desto mehr Angebote bekommen sie“, so Grasmann. Manche bezögen nebenbei Hartz IV oder gingen teilweise anderen Beschäftigungen nach. Sie vom Strich in Lohn und Brot zu bringen, sei nicht leicht. In einen zweiten Café träfen sich Gelegenheits- oder Ex-Stricher. „Ein Großteil davon geht noch anschaffen, alle sind über 30, manche über 40. Wir sind froh, wenn wir sie in eine Arbeitsstelle vermitteln können.“ Schwierig sei auch ihr oft ungeregelter Aufenthaltsstatus.

Zurzeit sucht Silke Grasmann wieder nach einem Mitarbeiter, der keine Scheu vor dem „harten Bereich“ habe. Ihr Verein und die AIDS-Hilfe arbeiteten in Stuttgart zwar gut mit der Polizei zusammen. Doch wünschenswert sei es vor allem, wenn die Gesellschaft männliche Prostitution als Realität anerkenne. „Die weibliche Prostitution ist mehr oder weniger anerkannt, doch die männliche Prostitution ist weitgehend tabuisiert.“