Eine Amsel im Liebeswahn attackiert ihr eigenes Spiegelbild, das sie im Außenspiegel eines Autos sieht. Foto: Wörner

Zerkratzter Lack, Scheiben mit Kot, zerhackte Spiegel: Ein Amselmännchen setzt in Stuttgart-Vaihingen den Anwohnern zu. Doch nicht Boshaftigkeit, sondern die Triebe scheinen Auslöser zu sein.

Stuttgart - Hans Martin Wörner ist eigentlich keiner, der mit irgendwem auf Kriegsfuß steht. Doch mit einem Herrn in seiner Nachbarschaft im beschaulichen Dürrlewang in Stuttgart-Vaihingen ist für den 70-Jährigen an ein friedliches Miteinander nicht mehr zu denken. „Er zerkratzt bei unseren Autos den Lack, zerhackt die Spiegel und kackt alles voll – und das fast täglich“, schimpft Wörner.

Die Rede ist von einem Amselmännchen, das nicht nur den Stellplatz der Wörners, sondern auch die Nachbarschaft an der Herschelstraße seit einer Woche heimsucht.

Doch wie wehrt man sich, wenn die Natur sich gegen den Menschen wendet? Hans Martin Wörner hat im Baumarkt Decken gekauft und die spiegelnden Flächen seines Peugeot abgehängt. Damit hat er laut Hannes Huber, Pressesprecher Naturschutzbund (Nabu) Baden-Württemberg, alles richtig gemacht: „Das Amselmännchen hat in seinem Spiegelbild einen Rivalen gesehen und ihn angegriffen. Das ist nicht nur für die Unversehrtheit des Fahrzeugs, sondern auch für den Vogel gefährlich.“

Aggressionen während Balzzeit

Zur Balzzeit, die bei Amseln von Mitte März bis Mitte April reichen kann, sei ein solch aggressives Verhalten der Tiere allerdings nichts Ungewöhnliches. Abgesehen davon, dass der Vogel auch seine Notdurft auf dem Blech verrichtet. „Und zwar so heftig, dass mich der Tankstellenwart wegen der ganzen Autowäschen noch freundlicher grüßt als sonst“, sagt Wörner.

Die Naturschützer haben für so ein Verhalten von Amseln keine Erklärung. „Womöglich passiert das im Eifer des Gefechts“, mutmaßt Huber und fügt augenzwinkernd hinzu: „Oder der Vogel hat was gegen Autos und ist radikal für Umweltschutz.“ Doch nicht nur Pkw, sondern auch Pflanzen wie Krokusse werden im Frühjahr häufig zum Ziel von Amsel-Attacken. „Durch das orangefarbige, spitz zulaufende Blüteninnere fühlen sich die Amseln an ihre eigenen Schnäbel erinnert und wittern auch hier Nebenbuhler“, sagt Huber. Wenn die sich vom Gesang der Platzhirsche nicht vertreiben lassen, kommt es zum Kampf. Gefährlich wird das für die Vögel allerdings selten. „Merkt einer, dass er unterlegen ist, haut er in der Regel schnell ab“, so Huber weiter.

Dass sich die Amseln in die Quere kommen, liegt auch daran, dass sich die Vögel in Siedlungen wohler fühlen als in Monokulturen, zu denen heute viele Waldgebiete zählen. Seitdem sie sich von dem Usutu-Virus wieder erholt hat, der die Art 2010 stark dezimierte, gehört die Amsel zu den häufigsten Gartenvögeln. Heute werben sie wieder von den höchstgelegenen Punkten ihrer Reviere um die Gunst der Weibchen.

Sonderbares Verhalten

Doch nicht nur Amseln legen im Frühjahr ein sonderbares Verhalten an den Tag. Der Bussard ist ganz und gar kein Gartenvogel, und wenn er angreift, ist Autolack das geringste Problem. „Momentan ist Brunftzeit der Tiere“, erklärt Huber. Da seien die Greifvögel besonders aggressiv, wenn Menschen sich in die Nähe ihrer Nester wagen. Joggern, die am Waldrand Sport treiben, empfiehlt er daher, einen Hut zu tragen oder einen Stock oder Regenschirm mitzuführen. „Bussarde greifen immer die höchste Stelle ihres Ziels an“, sagt Huber. Am besten schütze man sich natürlich, wenn man einen Bogen um Gebiete mit Bussardnestern mache.

Mit einem Bussard, der auch Menschen verletzen kann, hat es Hans Martin Wörner zum Glück nicht zu tun. „Bis jetzt gab es hier nur Spatzen, mit denen kam ich gut aus“, sagt er. Nach den Erlebnissen mit dem Amselnachbarn wird er komischen Vögeln gegenüber künftig jedoch skeptischer sein.