Auch Dorothea Schulz zeigt Neues bei Michael Sturm: „Selbstgesprächsfetzen“ heißt ihre neue Aquarell-Serie Foto: Galerie Michael Sturm

In Stuttgarts Privatgalerien herrscht Hochbetrieb. „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer hat sich umgesehen und bewertet neue Arbeiten von Herbert Egl, Dorothea Schulz und Nikolaus Koliusis .

Stuttgart - Herbert Egls Bilder erwachsen buchstäblich aus der Tiefe, immer ist der Maler sich selbst als Zeichner auf der Spur, staunt scheinbar über die Folgen, die seine Liniengeflechte haben. Aus der Mitte heraus entwirren sie sich. Oder umgekehrt: Zur Mitte hin verdichten sie sich, verschwinden in einer imaginären Tiefe, um – als Teil einer Farbexplosion zugleich – sofort wieder zurückgeschleudert zu werden.

Herbert Egl bekennt: „I like Chinese“

Was aber geschieht, wenn man diesen Drang zur Mitte wegnimmt, die Verdichtung ausfällt, das Bildraumganze von Beginn an gleichwertiges Handlungsfeld ist? Dann hat man es mit einem neuen Werkzyklus des Stuttgarter Künstlers zu tun. Zu sehen ist er in der Galerie Michael Sturm in Stuttgart. „I like Chinese“ ist die Schau betitelt, begründet auch durch „Anspielungen auf fernöstliche Kalligraphie“, wie es im Galerietext zur Ausstellung heißt.

Blühende „Tischdecke“

Was geschieht? Auf ungrundierter Leinwand sind schwarze Bindfäden aufgebracht – und werden von weißer Acrylfarbe „verschluckt“, die nun wieder selbst zum Handlungsfeld wird. „Gekämmt“ wird die Fläche zur Linienfolge, zu einem Strukturgitter. Es ist ein harter Schnitt mit vorangegangenen Egl-Werkfolgen, und wohl auch deshalb haben die Mittelformate durchaus etwas Tastendes. Dann aber gibt es Bilder, auf die das neue Spiel der Kräfte wohl zuläuft, Arbeiten wie das Bild „Tischdecke“, das feinnervig das Liniengespinst zulässt, um zart fast die Mitte erblühen zu lassen.

Dialog zwischen Malerei und Fotografie

An anderer Stelle setzt der Maler Egl seinen Dialog mit dem Fotografen Egl fort, treten – wie in „Eis“ – Fragmente einer unterlegten Fotografie hervor. Da ist er dann doch, der Spurenleger, Spurensucher und Spurenleser. Diesem folgt denn auch die Präsentation der Werke. Empfangen wird man von einem Aufbruch, von stürmischen Schritten in Egl-Neuland, von einer Folge, in der die Linien fast von Leinwand zu Leinwand überzugreifen scheinen. Dann erst beruhigt sich die Lage, stellt sich die Frage nach gültigen Einzelbildern.

Lohnenswertes Neuland

„I like Chinese“ – das hört sich so einfach an. Herbert Egl muss man Absicht unterstellen. Auf leise Art Neuland zu betreten – das ist ihm gelungen.

Wort-Konter von Dorothea Schulz

Michael Sturm bleibt dem Künstlerdialog treu. Und so gesellen sich Aquarelle der in Berlin lebenden Karlsruherin Dorothea Schulz zu Egls „I like Chinese“-Folge. Ein Wortkonter und ein Wort-Konter, Ausrufezeichen und Fragezeichen zugleich.

Wichtiges Fragezeichen

Wie bei dem deutlichen „Zu lachs“. Da möchte man zustimmen, da möchte man dagegen sein, das glaubt man eingeordnet. Und dann ist da, klein, aber buchstäblich oho, dieses Fragezeichen. Wie also ist das jetzt mit dem lachs und dem lax?

„Selbstgesprächsfetzen“ im Oberlichtsaal

Die Kunst von Dorothea Schulz? Ist eine Entführung an deren Grenzen. Eine Verführung, der Kunst zu misstrauen, um ihr doch fast euphorisch zu vertrauen. „Fastzeichnungen“ hieß die bisher vielleicht beste Werkgruppe, nun hält sie uns „Selbstgesprächsfetzen“ vor, 1000 Euro das Blatt, und im Oberlichtsaal der Galerie ebenso eine Aufforderung zur freudvollen Einzelentscheidung wie aber doch eigentlich zum umfassenden Sammlerzugriff.

Blauer „Himmel über Berlin“

Im Galerieflur ist derweil noch Raum für den „Himmel über Berlin“, Wolkenbilder, die so ungewollt wie folgerichtig auf eine weitere aktuell in der Christophstraße 6 zu sehende künstlerische Position verweisen: Arbeiten von Nikolaus Koliusis.

Nikolaus Koliusis in der Galerie Mueller-Roth

Am Anfang war die Fotografie, dann die Frage nach den Schritten auf dem Weg zum Bild – schließlich das Spiel mit den Materialien Folie und Spiegel, die Erörterung von Begriffen wie Bild, Skulptur und Installation. Und natürlich auch dies: Was war zuerst – das Licht? Der Raum? Das Material?

Künstler der Wahrnehmung

Nikolaus Koliusis ist ein bestechend präziser Denker. Ein Künstler, der Wahrnehmung Form und Farbe werden lässt. „Blaubeziehung“ heißt seine aktuelle große Schau im Museum DKM in Duisburg, und das Blau spielt auch jetzt die zentrale Rolle, wenn die Galerie Mueller-Roth offenkundig wieder in die Ausstellungsoffensive geht. Stuttgart tut dies ausgesprochen gut – umso mehr als Nikolaus Koliusis den Impuls geschickt nützt, um auf vermeintlich kleiner Fläche sein Folienalphabet auszubreiten.

Räume aus Licht, Material und Bewegung

Mehr denn je geht es dabei um das, was dazwischen liegt, um einen Raum aus Licht, Material und Bewegung. Und um das Selbstverständnis von Kunst als bildgewordener Poesie. Alles ganz einfach, alles schlicht ungeheuerlich. Eine Zumutung. Die uns ermuntert: Blau ist das andere.

Gut zu wissen

Herbert Egl und Dorothea Schulz in der Galerie Michael Sturm in Stuttgart (Christophstraße 6, Di–Fr 13–19 Uhr. www.galerie-sturm.de). Nikolaus Koliusis in der Galerie Mueller-Roth in Stuttgart, Christophstraße 6, Öffnungszeiten nach Vereinbarung, 07 11 / 6 49 39 50. www.galerie-mueller-roth.de