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Neue Richtlinie löst bei Marktbeschickern Kritik aus - Städte handhaben Auflage flexibel.

Stuttgart/Esslingen - Wer am heutigen Donnerstag auf dem Wochenmarkt am Markt- und Schillerplatz einkauft, sucht seinen Lieblingsstand womöglich bald vergebens. Nach der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie sollen Standplätze künftig nur noch befristet vergeben werden, zur Förderung des Wettbewerbs.

Die neue Dienstleistungsrichtlinie der EU gilt bereits seit Anfang 2010 - angekommen ist sie in vielen Städten aber noch nicht. Üblich ist vielmehr, dass jahrelang dieselben Händler am selben Platz zu finden sind - zur Freude der Stammkundschaft und zum Ärger von Marktbeschickern, die auch gern mal zum Zug kommen wollen.

Standbetreibern fehlt Transparenz

Ihnen kommt die neue Richtlinie gerade recht. Sie soll den Wettbewerb stärken und die Gleichberechtigung unter den europäischen Dienstleistern befördern. Die Stadt Stuttgart hat bereits reagiert. Sobald ein Marktbeschicker eine Änderung möchte, zum Beispiel seinen Stand vergrößern will, wird sein bisher unbefristeter Vertrag in einen befristeten umgewandelt. Die Märkte GmbH unterscheidet dabei laut Geschäftsführer Karl Kübler zwischen langjährigen Beschickern, denen eine Frist von drei Jahren zugebilligt wird, und Neulingen, die mit einem halben Jahr vorlieb nehmen müssen.

Einigen Standbetreibern fehlt es in Stuttgart aber an Transparenz. Der Gärtner Eberhard Benzing, der auf dem Schillerplatz Blumen anbietet, fände es gut, wenn die Marktbeschicker bei Neuvergaben ein Mitspracherecht hätten. Er wundert sich auch über immer mehr leere Flächen, wo doch die Warteliste offenbar lang sei. Von manchem Standnachbarn wünscht er sich mehr Präsenz: "Eine gewisse Regelmäßigkeit muss schon sein - schon wegen der Kunden." Er selbst habe seit 20 Jahren keinen einzigen Markttag gefehlt: "Mein Stand ist immer da, der Kunde muss sich verlassen können."

Karl Kübler schränkt ein: "Der Fischhändler kommt im Sommer natürlich nicht." Und wer etwa Gewürze verkaufe, die der Kunde nicht jede Woche braucht, besetze den Stand eben nur alle 14 Tage. Kübler bestätigt eine lange Warteliste: Rund 400 bis 500 Interessenten wollen auf den Stuttgarter Wochenmarkt. Wichtigstes Vergabekriterium sei: Erzeuger vor Händler, der Branchenmix sei wichtig, und Leerflächen versuche man mit Tageshändlern zu besetzen, die nicht regelmäßig kommen.

Städte in der Region händeln Märkte unterschiedlich

Eberhard Benzing findet die von der EU angestrebte Änderung im Prinzip in Ordnung. Für einen Familienbetrieb, der von dem Stand lebt, könne die Befristung aber ein harter Schlag sein.

In Esslingen wurden freie Standplätze bisher ebenfalls unbefristet abgegeben. Der richtige Weg, wie Jürgen Merz findet, Sprecher der Esslinger Beschicker im Esslinger Wochenmarktverein. Schließlich gehe es um Planungssicherheit: Wer regelmäßig eine Markt bedienen will, müsse ganz schön investieren. Merz verweist etwa auf die Kosten eines Transporters, der zum Marktstand umgebaut werden kann oder für ein Gewächshaus, das ein Anbieter von Blumen in der kalten Witterung braucht. Erst vor zwei Jahren sei in Esslingen die Marktsatzung neu aufgestellt worden, sagt Merz. "Wir waren deshalb wie vor den Kopf gestoßen, dass nun alles wieder anders werden soll."

Ludwigsburg ist strenger als Esslingen

Der Städtetag ruft seine Mitglieder regelmäßig dazu auf, die EU-Dienstleistungsrichtlinie umzusetzen. Deshalb setzte die Esslinger Stadtverwaltung das Thema auf die Tagesordnung. Weil in der Richtlinie kein Zeitraum für eine Befristung genannt ist, schlug sie eine Frist von drei Jahren vor. Die Esslinger Marktbeschicker hatten sich dagegen zwölf Jahre gewünscht und argumentierten mit der langen Tradition des Marktes seit dem Mittelalter und der Gepflogenheit, die Stellplätze sogar zu vererben. Heraus kam ein Kompromiss von fünf Jahren, den Jürgen Merz akzeptabel findet, wenn auch nicht optimal.

In Ludwigsburg schmunzelt man über die Esslinger Entscheidung. So großzügig mit der EU-Richtlinie umzugehen, gehöre wohl zum Selbstverständnis einer ehemals freien Reichsstadt, sagt Martin Boy, Leiter Marketing und Tourismus. In Ludwigsburg gilt die sogenannte Dauererlaubnis nur für das laufende Kalenderjahr. Die Stadt mischt sich zudem über eine Preisdifferenzierung ins Marktgeschehen ein: Wer dreimal die Woche den Markt beschickt und mindestens an 60 Markttagen anwesend ist, zahlt weniger als die Samstagshändler. In Esslingen sind samstags bis zu 5000 Besucher unterwegs, am andern Markttag, dem Mittwoch, kommt nur etwa die Hälfte.

In Böblingen wird das Marktgeschehen ohne viel Bürokratie gehandhabt. Dort gibt es noch nicht einmal eine Marktsatzung. Die Zulassung für die Stände wird jährlich erteilt und das seit vielen Jahren, nicht erst seit der Verordnung durch die EU.