Eine Straßenbahnerin sorgt am Olgaeck dafür, dass die Linie 8 nach Gablenberg auch wirklich ankommt (das Foto ist 1916 entstanden). Foto: Archiv SSB AG

Weil die Männer in den Ersten Weltkrieg zogen, fehlten daheim Fahrer in den Straßenbahnen. 1917 fiel in Stuttgart eine Männerdomäne: Frauen durften an die Kurbel – nur vorübergehend. Erst 1972 bekamen Fahrerinnen das selbe Recht.

Stuttgart - Keine Begeisterung klingt aus der SSB-Bilanz von 1917. „Gegen Ende des Jahres sahen wir uns genötigt“, ist im damaligen Geschäftsbericht zu lesen, „für den Wagenführersdienst weibliche Hilfskräfte auszubilden und zu verwenden.“ Zuvor durften Frauen nur Weichen stellen, den Wagen putzen oder als Schaffnerin tätig sein.

Im Ersten Weltkrieg fehlten Männer zum Steuern der Straßenbahn. Die Notlage der Verkehrsbetriebe war groß. Dennoch dauerte es, bis die Verantwortlichen an die Frauen dachten. „Dass dieser Schritt erst im dritten Kriegsjahr 1917 erfolgte – also vor 100 Jahren - und dass er in Stuttgart nur knapp zwei Dutzend weibliche Kräfte betraf, macht deutlich, wie schwer den Führungskräften dieser Schritt gefallen sein muss“, sagt Hans-Joachim Knupfer von der SSB-Stabstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Ein Drittel der Belegschaft war weiblich

Mit rund 560 Mitarbeiterinnen, weiß er, stellte das weibliche Geschlecht in jenem Jahr bereits mehr als ein Drittel der gesamten Belegschaft von etwa 1570 Personen. „Davon erschien nur ein fast verschwindend kleiner Teil, nämlich 19 Damen, unter der Rubrik ,weibliche Wagenführer’, und mehr waren es wohl auch vorher und nachher nicht“, berichtet Knupfer.

Wählten die SSB zunächst gezielt die Ehefrauen oder volljährigen Töchter einberufener oder „im Felde“ gestorbener Straßenbahner aus, wovon man sich wohl ein Verständnis für die Belange der Straßenbahnen versprach, war die Direktion später nicht mehr so wählerisch. Der Straßenbahnverkehr stiegt während des Krieges mächtig an. Man brauchte dringend mehr Personal. Die alte Devise „Männer gehören an die Maschine, Frauen an den Herd“ galt nicht mehr.

Die Arbeit an der Kurbel sei zu hart, hieß es

Hans-Jochim Knupfer hat im SSB-Archiv recherchiert, wie schwer es Frauen in den Anfängen hatten. Hieß es im Geschäftsbericht für 1915, dass „naturgemäß an die Leistung der Frauen ein anderer Maßstab anzulegen sei“ – welcher, wurde nicht genannt -, so kam die Geschäftsführung später zur Überzeugung, dass „der Versuch befriedigend“ verlaufe. Die Tätigkeit als Fahrerin war beliebt, wie eine der Damen gegenüber ihrem Sohn erklärt hat. Lieber arbeite sie vorne am Fahrerplatz denn als Kartenverkäuferin. An der Kurbel, so ist überliefert, komme man weniger „in Tuchfühlung mit Fahrgästen als im überfüllten Inneren des Wagens“. Doch nur in Kriegszeiten – auch im Zweiten Weltkrieg – durften Frauen den Steuerplatz einnehmen. Die Arbeit an der Kurbel sei zu hart für sie, hieß es. Dafür brauche man viel Kraft.

„Sicherheit während der Menstruation nicht gewährleistet“

Erst 1972 wurden in Stuttgart wieder Fahrerinnen auf der Schiene ausgebildet. Die Journalistin Henny Jansen-Csapo hat als Mitglied der Landespressekonferenz Stuttgart die Straßenbahnfahrprüfung gemacht. „Damals dachte ein Beamter im Arbeitsministerium, während der Menstruation der Frauen sei die Sicherheit in der Bahn nicht gewährleistet,“ erinnert sie sich. „Wir mussten Weichen aus dem Wagen stellen“, erzählt sie, „und bei Vollbremsungen rieselte der Sand.“ Frau Jansen-Csapo hat sich an den damaligen Arbeitsminister Walter Hirrlinger gewandt, der nicht wusste, dass man in seinem Haus Anträge der SSB blockiert hatte, die Frauen als Fahrerinnen einsetzen wollten. Auf die Initiative der Journalistin reagierte der Politiker umgehend. „ Ein halbes Jahr später oder so durften Frauen bereits die Prüfungen für die Straßenbahn und Busse machen“, erinnert sich Henny Jansen-Caspo. Heute liegt der Frauenanteil beim Steuern der Stadtbahn bei etwa 13 Prozent.

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