Von der Milchbar des Wirtschaftswunders zum Biergarten mit High-Tech-Anschluss: Eine der schönsten Aussichtsplätze der Stadt befindet sich auf der Karlshöhe. Das Stuttgart-Album erinnert an den tschechischen Baumeister des Schwabtunnels.
Von der Milchbar des Wirtschaftswunders zum Biergarten mit High-Tech-Anschluss: Eine der schönsten Aussichtsplätze der Stadt befindet sich auf der Karlshöhe. Das Stuttgart-Album erinnert an den tschechischen Baumeister des Schwabtunnels, an die Bundesgartenschau 1961 und an die Zeit, als Buttermilch in Mode war.
Stuttgart - Es hätte schlimmer kommen können. Wäre 1864 auf den Thron von Württemberg nicht ein Karl gestiegen, sondern ein Hans-Helmut oder ein Ernst-August, wir würden unser Feierabendbier nicht auf der traumhaft gelegenen und aussichtsreichen Karlshöhe trinken, sondern auf der Hans-Helmut- oder Ernst-August-Höhe.
1889 wurde der Reinsburghügel, der sich über den Kessel erhebt, zum 25-Jahr-Thronjubiläum des vorletzten Königs von Württemberg in Karlshöhe umbenannt. Zuvor hatte der Verschönungsverein Stuttgart die Kuppe des Bergs, auf dem sich ein Steinbruch befand, zu einem öffentlichen Park umgestaltet. Stuttgarts Hanglage faszinierte schon immer. Weshalb es umso mehr überrascht, dass heutzutage nur wenige gastronomische Einrichtungen die Chance zur schönen Aussicht nutzen. Der Biergarten Tscheche und Söhne auf der Karlshöhe ist eine der wenigen erfreulichen Ausnahmen. Auf der Terrasse plätschern drei Brunnen. Die Nachmittagssonne beleuchtet den Kessel und illuminiert ihn geradezu. Links und rechts stehen mächtige Bäume und lassen freie Sicht zwischen Tagblattturm und Fernsehturm, freie Sicht bis auf das Neckartal und den Schurwald.
Wie es zu dem ungewöhnlichen Namen Tscheche und Söhne kam? Auch das hat seine Geschichte. Volker Wunder, seit 2004 der Chef des idyllischen Biergartens, hat sie von alten Bewohnern des Stuttgarter Westen gehört. Ende des 19. Jahrhunderts war der Baumeister des Schwabtunnels ein Tscheche. Unter der Hasenbergsteige entstand der breiteste Tunnel Europas, der den Stuttgarter Süden mit dem Westen verband. In seinen Mittagspausen, so erzählt man sich, stieg der Baumeister auf den damaligen Reinsberghügel empor und trank dort oben selbst gebrautes Bier. Dies hatte sich bald herumgesprochen. Gehen wir hoch zum Tschechen und seinem Bier, sagten die Anwohner. Der heutige Biergarten sieht sich im Erbe des Tschechen, die Betreiber sind quasi seine Söhne, was den Namen sehr schön erklärt.
Zwischen dem Original-Tschechen und seinen Söhnen im Geiste floss reichlich Milch. Zur Bundesgartenschau im Jahr 1961 ist auf der Karlshöhe nach den Plänen des 1999 verstorbenen Liederhallen-Architekten Rolf Gutbrod ein Ensemble aus Unterstehhalle, Milchbar, Terrasse und Treppe entstanden. Der Treff bei Milchshakes und Rock’n’Roll entsprach in den 1960ern dem Lebensgefühl junger Menschen. Es war die Zeit, als man erst mit 21 Jahren volljährig wurde und noch lange nichts vom Komasaufen wusste. Nach Schulschluss traf sich die Jugend des Wirtschaftswunders bei Buttermilch oder Fürst-Pückler-Eis mit Sahne und freute sich auf die ersten Liebesgeschichten. Auf dem Killesberg hatte Gutbrod eine fast identische Milchbar gebaut.
Die Bundesgartenschau 1961 sollte ganz anders und neu sein. Die Verantwortlichen wollten keine Blümchen-Olympiade auf einer zusammenhängenden Fläche veranstalten, sondern gleichzeitig innerstädtische Flächen sanieren und neue öffentliche Parks schaffen. An der Oper machte man den bisher runden See eckig, an den Randbereichen der Stadt wurde vorhandene Grünanlagen neu gestaltet – so auch auf der Karlshöhe.
So schnell wie Milchbars in den 1960er entstanden sind, so schnell verschwanden sie wieder. Tscheche und Söhne bieten keine Milchmixgetränke – allenfalls einen Milchkaffee können sich die Besucher in Selbstbedienung holen. Die meisten laufen vom Süden oder dem Westen zum Biergarten hoch. Denn oben gibt es nur sehr wenig Parkplätze. Milch ist aus der Mode gekommen – aber die Karlshöhe kann nun High Tech bieten. Auf einer Webcam kann man im Internet sehen, wie es im Biergarten gerade aussieht. Wenn es sonnig ist, schlägt der Administrator vor, „arbeiten Sie mit Ihrem Notebook bei uns weiter“. WLAN steht bereit.
Auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums hat das Foto der Karlshöhe aus den 1970ern allerlei Erinnerungen wachgerufen. „Dort waren wir mit der ganzen Familie schon in den 1960er Jahren“, schreibt Ingrid Heidl, „leider sind wir 1968 vom Stuttgarter Westen weggezogen.“ Unvergessen sind für sie die Wasserspiele der Milchbar: „Die haben wir als Kinder geliebt!“ Gudrun Anne-Charlott Reiter fiel ein, dass in den 1980ern auf dieser wunderschönen Aussichtsterrasse die legendäre „Tatort“-Folge „Rot, rot, tot“ mit Curd Jürgens gedreht wurde. Marion LaKost berichtet von „Erdbeer- u. Bananenmilch in den späten 60ern“ und den „Vollmondpartys in den 80ern“.
Matthias Zoernack erinnert daran, dass früher das Tor zur Karlshöhe um 22 Uhr geschlossen wurde: „Seit die Stadt den Parkwächter spart, sieht der einst so schöne Park schäbig aus. Man traut sich nicht mehr, die Kinder dort spielen zu lassen, weil sich dort Müll und oft gebrauchte Spritzen befinden.“
Wer mehr von früher erfahren will: Im Silberburg-Verlag ist das Buch „Stuttgart-Album“ mit Texten von StN-Redakteur Uwe Bogen erschienen. Die ISBN-Nummer: 978-3-8425-1258-0.