Nach dem missglückten Polizeieinsatz im Schlossgarten gegen S-21-Gegner im Herbst 2010 drohen elf Polizisten Strafen wegen Körperverletzung im Amt. Die Staatsanwaltschaft musste aber nacharbeiten. Die Verfügungen verschieben sich auf Ende März.
Stuttgart - Die Vorfälle um den Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten am sogenannten Schwarzen Donnerstag liegen fast zweieinhalb Jahre zurück – doch hinter den Kulissen der Strafverfolger wird noch immer heftig gerungen. „Wir hoffen, in den nächsten Wochen den Entwurf einer Abschlussverfügung von der Staatsanwaltschaft vorgelegt zu bekommen“, sagte Klaus Pflieger, Leiter der Generalstaatsanwaltschaft bei der Jahrespressekonferenz seiner Behörde. Auf Nachfrage nennt er als möglichen Zeitraum „etwa Ende März“.
Dabei blickt Pflieger wenig glücklich drein. Denn bereits im Sommer 2012 hatte er angekündigt, dass die Ermittlungen um den Wasserwerfereinsatz am 30. September 2010, bei dem es zahlreiche Verletzte gab, „in zwei bis drei Monaten abgeschlossen“ sein könnten. Pfliegers Behörde obliegt die Aufsicht über staatsanwaltschaftliche Entscheidungen. Seither wird mit Strafbefehlen gegen elf Beamte wegen Körperverletzung im Amt gerechnet. Sie sollen beim Wasserwerfereinsatz gegen interne Vorschriften verstoßen haben.
Doch statt eines Abschlusses im Herbst 2012 ging das Verfahren in die Verlängerung: „Es waren weitere Ermittlungen erforderlich“, sagt Pflieger. Denn zu den Beschuldigten zählen nicht nur die Besatzungen der Wasserwerfer, sondern auch Vorgesetzte außerhalb. „Und da geht es nicht nur um die Frage, wer aktiv geworden ist, sondern auch darum, wer etwas womöglich unterlassen hat“, formuliert es der Chef der Generalstaatsanwaltschaft. Und das sei juristisch äußerst kompliziert.
Pflieger betont, dass der Einsatz der Wasserwerfer nicht unrechtmäßig erfolgt sei
Was Pflieger so nicht sagt: Es geht offenbar um den Einsatzabschnittsleiter, der den Wasserwerfereinsatz angeordnet hat. Bei den Ermittlungen geht es nicht nur darum, ob der Polizeirat auch für die Folgen verantwortlich zu machen ist, sondern ob er die Besatzungen hätte stoppen müssen, als es die ersten Schwerverletzten gab. Das bekannteste Opfer, der damals 66-jährige Dietrich Wagner, erblindete. Am Strafmaß für Körperverletzung im Amt ändert sich freilich auch durchs das Unterlassen nichts: Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft.
Pflieger betont, dass der Einsatz der Wasserwerfer nicht unrechtmäßig erfolgt sei. Über diese Frage entscheidet freilich noch das Verwaltungsgericht, dessen 5. Kammer aber erst noch die Ergebnisse der Wasserwerfer-Ermittlungen abwarten will. Auch umfasse die Frage des Unterlassens auch nicht den damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf. Dessen Ermittlungsverfahren ist bereits eingestellt. „Mit unserem Einverständnis“, so Pflieger.
Die Beamten im Wasserwerfer müssen dagegen mit Strafen rechnen, weil sie offenbar Regeln missachtet hatten. Die Polizeidienstvorschrift 122 über den Einsatz von Wasserwerfern schreibt beispielsweise vor, dass darauf zu achten sei, „dass Köpfe nicht getroffen werden“.
„Es gilt das 16-Augen-Prinzip“
Ausdrücklich in Schutz genommen hat Pflieger am Donnerstag den umstrittenen Leiter der politischen Abteilung, Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler. „Das bearbeitet nicht einer allein“, so Pflieger, „es gilt das 16-Augen-Prinzip.“ Daran seien auch er und seine Kollegen beteiligt.
Dies gilt nicht nur für Häußlers Rolle bei den Ermittlungen um Stuttgart 21, sondern auch für das Verfahren um das Massaker im italienischen Dorf Sant’Anna die Stazzema 1944. Dort hatten SS-Mitglieder 560 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, umgebracht. Die italienische Justiz verurteilte 2005 zehn damalige Mitglieder der Waffen-SS in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft aber stellte das Verfahren ein. Zum Leidwesen eines heute 78-jährigen Überlebenden, der inzwischen Beschwerde eingereicht hat.
„Wir werden den Fall überprüfen und gegebenenfalls weitere Ermittlungen anstellen“, sagt Generalstaatsanwalt Pflieger. Allerdings müsse einem konkreten Beschuldigten ein konkreter Mord nachgewiesen werden. Alle anderen Straftaten seien bereits verjährt.
Auch wenn die Kriminalität in Deutschland rückläufig sei – und die Zahl der Verfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte den niedrigsten Stand seit zehn Jahren erreicht habe: Entwarnung will Pflieger nicht geben. „Wir müssen uns verstärkt um die Internetkriminalität kümmern“, fordert er. Dies sei besonders bei der Vorbeugung von Amokstraftaten wichtig, die häufig im Netz vorher geübt werden. Für Pflieger gilt für Internetermittlungen der Grundsatz: „Wer sucht, der findet.“