Für die ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm wird an einer neuen Eisenbahnbrücke bei Aichelberg gebaut (Bild vom 29.08.2011). Foto: dpa

Fraktionschef Schmiedel: Wenn Stuttgart 21 kippt, steigt das Land aus der Streckenfinanzierung aus. Das Verkehrsministerium widerspricht dem.

Stuttgart - Die Finanzierungsdebatte um das Bahnprojekt Stuttgart 21 beschäftigt auch die grün-rote Landesregierung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte am Dienstag vor der Presse, er werde sich an Spekulationen über einen möglichen Ausstieg des Bundes aus dem Projekt nicht beteiligen. Die Kosten von Tiefbahnhof und der Strecke bis Wendlingen könnten laut Bahn von bisher finanzierten 4,5 auf bis zu 6,8 Milliarden Euro steigen.

Der Aufsichtsrat der Bahn müsse entscheiden, ob der Konzern, wie von Bahn-Chef Rüdiger Grube vorgeschlagen, 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten übernehme. „Klar muss aber sein, wir müssen nach dieser Entscheidung belastbares Material haben, und es muss klar sein, dass das Projekt durchfinanziert ist“, sagte der Regierungschef. Aufsichtsratsvertreter des Bundes haben dazu Fragen gestellt. „Wir eröffnen keine Ausstiegsdebatte“, stellte Kretschmann klar.

Bei Stuttgart 21 bliebe auch mit den 1,1 Milliarden der Bahn ein Risiko von 1,2 Milliarden offen. Grube und Technikvorstand Volker Kefer sehen dafür Land, Stadt, Region und Bund in der Pflicht. Kefer könnte das Geld am 28. Februar in der Sitzung des S-21-Lenkungskreises in Stuttgart fordern. Am 1. März berichtet er dem Aufsichtsrat.

Land zahlt für die 60 Kilometer 950 Millionen Euro

Claus Schmiedel, SPD-Fraktionschef im Landtag, kündigte am Dienstag Konsequenzen für den Fall an, dass Stuttgart 21 scheitert. Dann, sagte Schmiedel zu unserer Zeitung, „würde die Geschäftsgrundlage für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm entfallen“. Das Land zahlt für die 60 Kilometer 950 Millionen Euro, den Rest übernimmt der Bund. Die Strecke mit ihren langen Tunneln auf die Alb und von Dornstadt nach Ulm wird nach der neuesten Rechnung der Bahn 3,3 Milliarden Euro kosten. Die Finanzierungspläne sehen vor, dass mit dem Landesgeld bis 2016 gebaut werden kann und der Bund den Weiterbau bezahlt.

Die Strecke habe ohne Stuttgart 21 keinen Nutzen, sagt Schmiedel. Die Fahrzeit nach Ulm verkürze sich nach einer Auskunft des S-21-Kommunikationsbüros nicht, wenn die neue Strecke in Wendlingen an den alten Gleisbestand im Neckartal Richtung Stuttgart geknüpft werden müsste. Dieser Anschluss ist als sogenannte Güterzuganbindung vorgesehen. Da „vom Fahrzeitgewinn nichts übrig bleibt“, erläuterte Schmiedel, sei der Streckenbau dann volkswirtschaftlich unsinnig. „Der Bund dürfe diese Strecke dann gar nicht mehr finanzieren“, sagte der Fraktionschef.

Nur 28 Minuten von Stuttgart nach Ulm

Die Neubaustrecke soll in Wendlingen mit der vom Flughafen kommenden S-21-Strecke verknüpft werden. Heute fährt man im ICE in 55 Minuten von Stuttgart nach Ulm. Mit Stuttgart 21 und der neuen Strecke sollen es (ohne Halt am Flughafen) noch 28 sein. Acht Minuten braucht dabei allein die Fahrt vom Hauptbahnhof bis zum Flughafen. Bis Wendlingen sind es noch ein paar Minuten mehr. Bleiben weniger als 20 von Wendlingen nach Ulm. Da ein Regionalexpress vom Hauptbahnhof nach Wendlingen heute 27 Minuten braucht, dabei aber drei Zwischenhalte bedient, könnte sich mit der neuen Strecke auch ohne Stuttgart 21 eine kürzere Fahrzeit ergeben. Schmiedel wollte zu dieser Rechnung keine Stellung nehmen. „Fragen Sie die Bahn, die hat gesagt, dass vom Fahrzeitgewinn durch die Neubaustrecke nichts übrig bleibt“, erklärte er.

Das Landesverkehrsministerium wollte zu Fragen nach der Neubaustrecke am Dienstag keine Stellung nehmen. Minister Winfried Hermann (Grüne) hatte sie in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter bekämpft. Im grün-roten Koalitionsvertrag wurde allerdings Folgendes festgehalten: „Die neue Landesregierung steht trotz des Dissenses über Stuttgart 21 zur Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.“ Das Thema Strecke werde von Hermann „nicht angefasst“, sagte dessen Sprecher, es sei ein „Koalitions-Tabu“. Wenn es dazu Fragen gebe, lägen die Antworten wie bei Stuttgart 21 in Berlin. Sollte sich die SPD bei einem Scheitern von Stuttgart 21 von der Strecke abwenden, „dann hätten wir eine neue Lage“, so der Sprecher.