Stuttgart 21: Personalrat beklagt Einsatzbelastung und Ansehensverlust in der Öffentlichkeit.

Stuttgart - Die vielen Einsätze bei Stuttgart21 sind hart, kosten Nerven und schmälern das Ansehen der Polizei - nicht nur bei den Demonstranten. In einem Brandbrief beklagt der Personalrat die Aggressivität gegen die Kollegen. Er wünscht sich wieder mehr Respekt von den Bürgern.

Rainer Hurler ist kein Polterer, kein verbaler Haudrauf. Also verpackt der Vorsitzende des Personalrats beim Polizeipräsidium Stuttgart seinen Appell in eine Bitte: "Wir wünschen, dass uns der Bürger wieder mit mehr Respekt entgegentritt", sagt Hurler. "Wir sind doch keine Polizei für oder gegen Stuttgart21 - wir sind eine Polizei für alle Bürger."

Seit der ersten größeren Demo gegen das Bahnprojekt im November 2009 sind bei der Polizei 346000 Einsatzstunden im Kontext Stuttgart21 angefallen; die Kosten belaufen sich auf 15,4 Millionen Euro. "Die Einsatzbelastung der Kollegen ist enorm gestiegen", sagt Hurler. Für Zwölf- bis 14-Stunden-Schichten an sieben Tagen in der Woche benötige man "viel Idealismus", meint der Erste Polizeihauptkommissar.

Seit dem 30.September 2010 - als die Polizei erstmals Wasserwerfer gegen Stuttgart-21-Demonstranten einsetzte und dabei über 130 Menschen teils schwer verletzte - hat sich die Lage allerdings spürbar verschärft, sagt Polizeihauptkommissarin Anja Prottengeier. "Seitdem werden Kollegen angepöbelt, beleidigt, bespuckt", berichtet die stellvertretende Personalratsvorsitzende. Bei Pfiffen oder Getröte mit Trillerpfeifen und Vuvuzelas aus nächster Nähe ins Ohr der Beamten drohten sogar ernste Verletzungen.

In einem Brief des Personalrats, den vor kurzem alle 2100 Beamten und 400 Angestellten des Polizeipräsidiums erhalten haben, wird die Kritik noch schärfer formuliert: Die Demonstranten hätten dem alten Bahnhof "eine Seele zugesprochen" und dabei übersehen, dass sie "auf unseren Seelen herumtrampeln", klagt der Personalrat: "Es sind Leute, die sich dem Schutze der Bäume und Käfer verschrieben haben und im gleichen Atemzug uns auf das Übelste beleidigen, bedrängen und verletzen." Die von Demonstranten ausgehende Gewalt werde "bagatellisiert und teils sogar heroisiert".

"Aggressionspotenzial ist größer geworden"

Zum umstrittenen Wasserwerfer-Einsatz stehe man "ohne Wenn und Aber", heißt es in dem Brief, der unserer Zeitung vorliegt. Die Kollegen im Einsatz hätten sich "Anerkennung, Vertrauen und Wertschätzung" verdient, schreibt der Personalrat. Falls es trotz aller Professionalität Fehler gegeben habe, werde es von der Staatsanwaltschaft überprüft. Interne Kritik an der Führung wegen des Einsatzes im Schlossgarten sei die Ausnahme, ergänzt Hurler im Gespräch: "Die Kollegen rechnen es Polizeipräsident Stumpf hoch an, dass er im Untersuchungsausschuss des Landtags alle Verantwortung für den Einsatz übernommen hat."

Am 30.September sei man von Stuttgart-21-Gegnern gegen den eigenen Willen auf die Seite der Befürworter gestellt und zur "Konfliktpartei" erklärt worden, sagt Hurler. Dass die Beamten zur Neutralität verpflichtet seien und nach gesetzlichem Auftrag handelten, sei völlig ausgeblendet worden. Trotzdem wirke diese falsche Rollenzuschreibung fort, mit unerfreulichen Folgen.

"Das Aggressionspotenzial gegen Polizeibeamte ist seit dem Stuttgart-21-Konflikt allgemein größer geworden", sagt Prottengeier. "Es gibt Personen, die wir nach einem Ladendiebstahl oder häuslicher Gewalt zur Rede stellen und die uns - obwohl es in ihrem Fall keinerlei Verbindung zu S21 gibt - wie bei den Demos als ,Kinderschläger' beschimpfen." Junge Leute, die vor der Disco über die Stränge schlagen, würden sich jetzt auf den "zivilen Ungehorsam" berufen und der Polizei den Stinkefinger zeigen. Solche Vorkommnisse verunsicherten, hört die Personalrätin in vielen Gesprächen mit den Kollegen. "Mancher Beamte zögert jetzt, ehe er Zwangsmittel einsetzt - obwohl es aufgrund der Situation klar geboten ist", sagt sie.

"Der einzelne Beamte ist für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart21 kein Feind, das haben wir mehrfach auch bei Demos klargestellt", betont Gerhard Pfeifer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Allerdings gebe es in den eigenen Reihen einen "großen Unmut" darüber, dass der 30.September "bis heute nicht innerhalb der Polizei aufgearbeitet worden ist", sagt Pfeifer. Darum habe man auch das vom Polizeipräsidium für Dienstag angesetzte Infogespräch über weitere Protestaktionen abgesagt.

Das sei keine Kampfansage an die Beamten, betont Pfeifer. "Unsere Demonstranten werden auch künftig zu unterscheiden wissen, wer die Polizei leitet - und wer den alltäglichen Dienst ausübt." Die beiden Sprecher des Bahnprojekts haben am Freitag erklärt, dass Behinderungen oder gar körperliche Gewalt gegenüber Bauarbeitern oder Polizisten "inakzeptabel" seien. Die Bahn werde außerdem zivilrechtliche Schritte gegen Personen prüfen, die mit Protesten die Bauarbeiten behinderten und damit auch finanzielle Schäden anrichteten.