Bei ihrem Projekt Stuttgart 21 muss die Bahn in der Landeshauptstadt rund 3000 Eigentümer für die Nutzung ihrer Grundstücke entschädigen. Die Regeln dafür sind offenbar unterschiedlich. Hausbesitzer sehen bei den Verhandlungen den Datenschutz verletzt.
Bei ihrem Projekt Stuttgart 21 muss die Bahn in der Landeshauptstadt rund 3000 Eigentümer für die Nutzung ihrer Grundstücke entschädigen. Die Regeln dafür sind offenbar unterschiedlich. Hausbesitzer sehen bei den Verhandlungen den Datenschutz verletzt.
Stuttgart - Für ihr Projekt Stuttgart 21 muss die Bahn in der Stadt rund 60 Kilometer eingleisige Tunnel graben. Für jedes unterquerte Grundstück braucht sie von den Besitzern einen unterschriebenen Gestattungsvertrag, dafür gibt es dann eine finanzielle Entschädigung. Auch die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) bauen wegen S 21 neue Tunnel. Die Berechnung der Entschädigung ist bei beiden Verkehrsunternehmen unterschiedlich. Eigentümer beklagen neuerdings erheblichen Druck, die Verträge schnell zu unterschreiben.
Seit Wochen buddeln die SSB parallel zur Heilbronner Straße im Kriegsberg zwei neue Röhren für die Stadtbahn. Die alten werden abgerissen oder zugeschüttet, weil sie dem neuen Tiefbahnhof im Weg liegen. Auf der gegenüberliegenden Talseite hat die Bahn einen Zufahrtsstollen für die beiden Röhren des 9468 Meter langen Fildertunnels und der Tunnel nach Ober- und Untertürkeim (5730 Meter) begonnen.
Die Aussicht, künftig unterm eigenen Haus, unter der Wohnung oder dem Grundstück einen Bahn- oder SSB-Tunnel zu haben, erfreut nicht jeden Eigentümer. Manche verweigern ihre Unterschrift.
Die Entschädigungen, die die Bahn AG und die SSB für den Eintrag ins Grundbuch zahlen, sind unterschiedlich, obwohl beide durch den Bau des S-21-Tiefbahnhofs ausgelöst werden. Die SSB berechnen den Wertausgleich für den Tunnelbau nach dem Münchner Verfahren. „Dieses Verfahren ist in der Juristerei anerkannt“, sagt SSB-Sprecherin Brite Schaper. Es sei „wohlerprobt“ und von dem kommunalen Nahverkehrsunternehmen zum Beispiel auch beim Bau der Linie von Möhringen zum Gewerbegebiet Fasanenhof angewandt worden.
Spielräume auch beim "bewährten Verfahren"
Die Bahn entschädigt nach einem völlig neuen Verfahren. Die Berechnungsmethodik dazu hat das Unternehmen DIA Consulting AG in Freiburg im Auftrag der Bahn entwickelt. DIA wirbt in ihrem Internetauftritt mit dem Slogan „Wissenschaft und Erfahrung im Dienst von Immobilien- und Finanzwirtschaft“. Ob das neue Verfahren vor Gericht standhalten würde, ist unklar. Die Landeswasserversorgung (LW) zweifelt die Methodik an. Sie hat deswegen ein Verkehrswertgutachten beim Stadtmessungsamt in Auftrag gegeben. Ergebnisse gibt es in einigen Wochen.
Die SSB haben laut Schaper die neue Bahn-Entschädigung geprüft. Man sei „beim bewährten Verfahren geblieben“, sagt die Sprecherin, auch weil bereits Verträge unterschrieben waren. Ob das künftig so gehandhabt werde, könne man aber heute nicht sagen.
Doch auch beim „bewährten Verfahren“ scheint es Spielräume zu geben. Klaus Seidelmann, ein Wohnungseigentümer am Kriegsberg, berichtet von Korrekturen, die sein Anwalt durchsetzen konnte – und vom wachsenden Druck der Landsiedlung GmbH, die mehrheitlich dem Land gehört.
„Ich bin massiv bedrängt worden von den Mitarbeitern der Landsiedlung“, sagt Seidelmann: „Das sei meine letzte Chance, ich werde sonst enteignet“, hieß es. Außerdem sei er der letzte und einzige Wohnungsbesitzer, der in dem Mehrfamilienhaus in der Kriegerstraße noch keine Unterschrift geleistet habe. Er nimmt an, dass die Mitarbeiter eine Provision für den Abschluss erhalten. Über die Entlohnung eigener oder freier Kräfte gebe man keine Auskünfte, sagt Markus Schnabel. Er ist bei der Landsiedlung für den Bereich Grunderwerb zuständig.
Seidelmann schaltete einen Anwalt ein, der Verbesserungen erreichte. Zum Beispiel eine Nachzahlungsklausel. Diese ist wichtig für den Fall, dass ein Gericht die Berechnungsmethodik kippen oder die SSB am Ende bei der Entschädigung doch noch eine Schippe drauflegen sollten. „Wer dann zu schnell unterschrieben hat, ist der Dumme“, sagt Seidelmann. Auch wichtig: Die SSB strichen den geforderten Einwendungsverzicht aus dem Vertrag und nahmen eine „Klarstellung“ auf. Und zwar die, dass mit der Entschädigung „weitere Entschädigungs- oder Schadenersatzansprüche nicht mit abgegolten sind“. Seidelmanns Anwalt beschreibt den Sachverhalt so: „Es gibt zwei Arten von Mandanten. Die einen sind gegen Stuttgart 21, und die anderen wollen nicht übers Ohr gehauen werden.“
Seidelmann, der vom neuen Tiefbahnhof wenig hält, wundert sich über die flexible Vertragsgestaltung. „Bei dieser öffentlichen Baugeschichte müssten doch alle gleich behandelt werden“, sagt er. Der Vertriebsangestellte kritisiert außerdem, dass der Druck auf die Eigentümer steige. Inzwischen würden zögernde Miteigentümer „an den Pranger gestellt, um schneller zum Erfolg zu kommen“.
So hätten Miteigentümer „von der Landsiedlung die Namen derjenigen erfahren, die bei uns im Haus noch nicht unterschrieben haben“. Das sei ein Bruch des Datenschutzes. „Wir gehen mit persönlichen Daten ganz sicher verantwortungsbewusst um“, sagt Markus Schnabel von der Landsiedlung. Namen von Eigentümern zu nennen sei „sicher nicht die Regel“. Ihren Vertrag mit der Bahn hat die Gesellschaft zum 1. Januar 2014 gekündigt. Der Verkehrskonzern will vorwiegend mit eigenen Mitarbeitern und neuen Ingenieurbüros Unterschriften einwerben. Seidelmann spricht von einer „systematischen Hetzjagd, um die Zustimmung zu erzwingen“. Immerhin, sagt der Verwaltungsbeirat, sei nun aber nach der jüngsten Beiratssitzung klar, dass er eben doch nicht der letzte und einzige Wohnungsbesitzer sei, der noch keine Unterschrift geleistet habe.