Nach dem Wasserwerfereinsatz 2010 hat die Staatsanwaltschaft jetzt Strafbefehl gegen den Ex-Polizeipräsidenten Stumpf beantragt Foto: dpa

Das Amtsgericht Stuttgart hat nun zu entscheiden, ob und in welcher Höhe dem einstigen Polizeipräsidenten ein Strafbefehl zugeht. Ihm wird nach dem Schwarzen Donnerstag 2010 Körperverletzung im Amt vorgeworfen.

Stuttgart - Manchmal sind es nur ein paar Minuten, die über das Schicksal eines ganzes Lebens entscheiden können. Im Falle des früheren Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf sind es ein paar Minuten nach 14 Uhr, an jenem 30. September 2010, als seine bis dahin glänzende Laufbahn als anerkannter Polizeiführer in die Brüche ging. Die Räumungsaktion für das Bahnprojekt Stuttgart 21 im Schlossgarten war völlig außer Kontrolle geraten, es gab mindestens 184 Verletzte. Am schlimmsten traf es Demonstranten, die vom Strahl aus den Wasserwerfern am Kopf getroffen wurden.

Stumpf hatte stets die Verantwortung für das Polizeidesaster übernommen, aber nicht für die Verletzten. Er sei erst viel später im Park gewesen, habe allenfalls Wasserregen beobachtet und überhaupt nie Verletzte gesehen – so gab er in den vergangenen Jahren im Landtags-Untersuchungsausschuss oder bei Ermittlungen zu Protokoll. Das überzeugte den Staatsanwalt, er stellte im Dezember 2011 die Ermittlungen gegen ihn ein.

Doch dann holten Siegfried Stumpf diese paar Minuten nach 14 Uhr wieder ein. Was er gesehen haben will oder nicht – das spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Denn jetzt gibt es belastende Fotos und Videos – und Stumpf muss sich vorkommen wie ein Temposünder, dem man das Foto aus dem Blitzkasten vorhält und fragt: Der Mann da am Steuer, das sind doch wohl Sie?!

Bilder belasten mehr als tausend Worte. Da ist dieses Foto, das den Polizeipräsidenten um 14.11 Uhr im Schlossgarten auf dem sogenannten Feldherrenhügel beim Biergarten zeigt. Zu einer Zeit, als einer der Demonstranten, der S-21-Gegner Dietrich Wagner, bereits mit einem Wasserstoß von 16 bar schwerste Augenverletzungen erlitten hatte. Dieses Foto wird im Buch „Der Schwarze Donnerstag – Unerhört. Ungeklärt. Ungesühnt“ erscheinen, das die Autoren Dieter Reicherter und Jürgen Bartle am 23. Februar herausbringen. Das Foto beweist, dass der Polizeipräsident früher im Park war, als er früher stets angegeben hatte.

Das Bild allein zeigt zwar nicht, was die Einsatzleiter gesehen haben mussten. Das wird aber auf einem Polizeivideo aus dem Blickwinkel des Feldherrenhügels deutlich. Die Szene war lange unbeachtet geblieben – bis die 18. Kammer des Landgerichts von Juni bis November gegen zwei Polizei-Abschnittsleiter verhandelte. Das Video wurde als Beweismittel eingeführt, und es zeigt – um 14.11 Uhr – Wasserstöße, die mit hohem Druck auf die Planen der Demonstranten klatschen. Die Bedeutung der Szenerie blieb der Vorsitzenden Richterin Manuela Haußmann zunächst unklar. Bis ihr bedeutet wurde, ganz genau hinzuschauen. Dann sah sie auf dem Video: Polizeipräsident Stumpf und Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler.

„Ich muss zugeben, wir hatten die beiden Herren auf dem Video zunächst nicht erkannt“, erklärte die Richterin. Doch nun war zu sehen, was Polizeiführer Stumpf gesehen haben musste. Also leitete die Staatsanwaltschaft ein zweites Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Und beantragte am Donnerstag beim Amtsgericht Strafbefehl gegen Stumpf. „Er hat es unterlassen, darauf hinzuwirken, dass keine Köpfe von Demonstranten getroffen werden“, sagt Staatsanwaltssprecherin Claudia Krauth.

So steht es in der Polizeidienstvorschrift 122 für den Einsatz mit Wasserwerfern. Die Polizei-Abschnittsleiter hätten darauf hinwirken müssen – bekamen aber, weil der Chef neben ihnen eigentlich zu der entsprechenden Weisung an die Wasserwerferbesatzungen verpflichtet gewesen wäre, vom Gericht einen Strafrabatt. Ihr Verfahren wurde vom Landgericht wegen geringer Schuld gegen eine Geldauflage eingestellt.

Jetzt liegt ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft gegen Siegfried Stumpf beim Amtsgericht. Eine Sprecherin erklärt, dass die Prüfung der Unterlagen noch mehrere Tage in Anspruch nehmen werde.

Was könnte Stumpf zu den Szenen sagen? Oberstaatsanwalt Häußler, inzwischen im Ruhestand, hatte dazu vor Gericht folgende Formulierungen gebraucht: „Der Film entspricht meiner Erinnerung, dass Wasserabgaben über die Köpfe gemacht wurden. Damals hätte ich das als Wasserregen interpretiert. Die Treffer auf die Planen wären von mir als unmittelbarer Zwang gegen Sachen interpretiert worden.“