Das Bahnprojekt Stuttgart 21 droht um 1,1 Milliarden Euro teurer zu werden. Der Grund sind Fehlplanungen und nicht erkannte Kostenfaktoren. Die Finanzierungsobergrenze wäre damit durchbrochen.
Stuttgart/Berlin - Durch selbst verschuldete Fehler des Bauherrn droht Stuttgart 21 um 1,1 Milliarden Euro teurer zu werden. Mit dieser bitteren Aussage müssen Bahn-Chef Rüdiger Grube und sein Technik-Vorstand Volker Kefer am 12. Dezember in Berlin vor den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG treten.
Nach Informationen unserer Zeitung stehen in der aktualisierten Gesamtbetrachtung der Projektkosten – in der neben bereits angefallenen oder fest vereinbarten Baukosten auch Risiken und Chancen der künftigen Kostenentwicklung eingehen – ein neuer Mehrbetrag von 1,1 Milliarden Euro. Hauptursache für die Mehrkosten seien „Hypotheken aus der Vergangenheit des Projekts, also Fehlplanungen und übersehene Kostenpunkte“, heißt es bei der Bahn nicht ohne Selbstkritik: „Wie immer gilt auch jetzt das Gebot der absoluten Transparenz gegenüber dem Aufsichtsrat und den Projektpartnern,“
Die neue Kostenentwicklung bringt die beiden Top-Manager Grube und Kefer, deren Fünfjahresverträge beim bundeseigenen Schienenkonzern kürzlich verlängert wurden, in Erklärungsnot. Immerhin ist es die zweite, massive Korrektur der Kosten: Im Dezember 2009 hatten Grube und Kefer die Kosten von 3,067 Milliarden Euro auf 4,088 Milliarden Euro angehoben; weitere Mehrkosten von 891 Millionen Euro waren zuvor als „Sparpotenziale“ abgezogen worden.
Die 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten gelten im Bahn-Vorstand offenbar trotz allem als beherrschbar
Zur Erklärung sagte Grube Ende 2009 im Neuen Schloss in Stuttgart, dass er die von seinem Vorgänger Hartmut Mehdorn hinterlasse Berechnung der S-21-Kosten erstmals mit dem vollen „Härtegrad“ habe überprüfen lassen. Der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sagte, er könne die neuen Zahlen „vollinhaltlich bestätigen“. Weil die von den Projektpartnern vereinbarte Finanzierungsgrenze von maximal 4,526 Milliarden Euro eingehalten wurde, stimmten Land, Stadt und Region dem neuen Kostenstand zu. Einige Tage später endete die Frist, innerhalb derer noch jeder Partner Stuttgart 21 hätte beenden können.
Wann die Finanzierungsgrenze tatsächlich überschritten wird, ist noch unklar. Für den Fall müssen Bahn und Land „Gespräche“ aufnehmen. So steht es in der Sprechklausel der S-21-Verträge. Was sie bedeutet, ist umstritten: Die Bahn argumentiert, dass alle weiteren Mehrkosten nach dem bisherigen Schlüssel aufgeteilt werden müssten. Land und Stadt lehnen das ab. Sie sehen künftig allein die Bahn in der Pflicht.
Die 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten gelten im Bahn-Vorstand offenbar trotz allem als beherrschbar. Kefer sei fest entschlossen, den Bau von S 21 im neuen Finanzierungsrahmen von maximal 5,6 Milliarden Euro zu verantworten, hießt es bei der Bahn. Dennoch stehe der für S 21 verantwortliche Vorstand unter Druck. Falls der Aufsichtsrat eine zusätzliche, externe Prüfung der S-21-Kostenlage fordert – was nicht überraschen würde – könnte das auch als Misstrauensvotum gegen Kefer verstanden werden.
224 Millionen Euro für einen neuen Flughafenbahnhof
Größeres Kopfzerbrechen bereiten dem Bahn-Vorstand und seinem Kontrollgremium allerdings die grün-rote Landesregierung in Stuttgart. So wird der Aufsichtsrat am 12. Dezember eine zusätzliche Aufstellung mit Kostenrisiken erhalten, auf die das Land – nach Ansicht von Grube und Kefer – starken, direkten Einfluss hat. In dieser langen Liste „politischer“ Kostenrisiken finden sich unter anderem die 224 Millionen Euro für einen neuen Flughafenbahnhof, 70 Millionen Euro Folgekosten der Schlichtung oder Nachforderungen des Landes. Aber auch mögliche Einsparungen, für die das Land nach Ansicht der Bahn durch Beschleunigung oder Ausweitung öffentlicher Genehmigungen sorgen könnte, stehen in dreistelliger Millionenhöhe auf der Liste.
„Immer wieder erhobene Vorwürfe, die Landesregierung käme ihrer Projektförderpflicht nicht nach, was zu Verzögerungen im Projekt führe, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück“, heißt es in einem am Montag bekannt gewordenen Schreiben von Landesverkehrsverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) an Kefer. Falls nötig, werde man diese Vorwürfe „Punkt für Punkt“ widerlegen können, kündigt Hermann an.